SWR2, 6. Dezember 2015

„Retten wir uns vor den Rettern“

Ein „Oratorium“ zur Finanzkrise

Wie eigentlich hat alles begonnen? Dieses Stück, ein „Feature-Oratorium“ mit Chören und Solo-Sprecher-Sängern, geht zurück bis in die 1970er Jahre: In den USA sinken die Profite. „Fabriken werden geschlossen. Das Wachstum schrumpft. Arbeit wird knapp und die Löhne fallen. Die Geldhäuser müssen den Leuten jetzt Kredit geben“ [Zitate im Text stammen aus dem Manuskript], weil das Geld eben nicht mehr ausreicht, um nicht nachlassende Konsumwünsche und Notwendiges wie Bildung und Gesundheit zu bezahlen.

„Hi. I’m Larry“

Zu Beginn des „Oratoriums“ stellt sich vor: Larry. Und dieser Larry Fink, von Beruf Finanzinvestor, ist eine Leitfigur des Stücks. Im Auftrag einer Investmentbank hat er in den 1980er Jahren den Handel mit verbrieften Immobilienkrediten mitentwickelt: „Kredite aller Art werden in eigens dafür gegründeten Zweckgesellschaften zu Paketen geschnürt: verbrieft. Und als Wertpapiere an den Börsen weiterverkauft.“
Ein Sprung zur Jahrhundertwende: Die Geldhäuser reichen immer mehr Kredite aus, da sie die Schulden jetzt – verbrieft – weiterverkaufen können. Und nun kommt die Titel-Formel dieses Radiostücks ins Spiel: P = φ (A, B, γ) – wird gesprochen P = Phi von A B Gamma. Sie steht für das Risiko der Verwandlung von Schulden in Geld, „eine Wahrscheinlichkeitsgleichung zum Ausfallrisiko.“ Schon jetzt kann konstatiert werden, dass es noch nie derart viel Geld auf der Welt gab. Doch es kam, wie es kommen musste: 2008 platzte die Blase, die Staaten legten Rettungsprogramme auf. „Aus der Bankenkrise wird die Staatsschuldenkrise.“ Pikanterweise erinnert das Feature an den Politikerjubel Anfang des Jahrhunderts über „neue Finanzprodukte“ bzw. „neue innovative Ideen im Ausland“, die doch unbedingt auch in Deutschland Einzug halten sollten. Das „große Potential“ des deutschen Finanzmarkts gelte es auszubauen.

Larry Fink und BlackRock

Larry Fink ist heute die Nummer Eins bei BlackRock, einer Investmentfirma, die er 1988 mitgegründet hat. Der „schwarze Riese“ ist mit über 4,5 Billionen US-Dollar Anlagevermögen der größte Vermögensverwalter der Welt. BlackRock ist einer der Haupteigentümer der Rating-Agenturen Standard & Poor’s und Moody’s, hält zum Beispiel Anteile an Schwergewichten wie Google, Apple oder Nestlé und ist an allen 30 Dax-Unternehmen beteiligt. Die Eigentumsverhältnisse offenbaren, dass BlackRock wiederum Anteile an seinen Eigentümern hält, und darüber hinaus die 150 Unternehmen, die die Welt beherrschen, sich alle gegenseitig besitzen.
Und BlackRock hat, was normalerweise unbeachtet bleibt, das Feature aber erwähnt, in der seit 2010 sich stetig verschärfenden Schulden- (und sozialen) Krise seine eigenen Interessen. Die Firma „hat 2010 eine Menge Geld in griechische Staatsanleihen investiert, darauf wettend, dass Griechenland im Notfall gerettet würde. Und dann sind auch noch die Risikoprämien für Griechenanleihen in die Höhe geschossen, nachdem Standard & Poor’s Griechenland auf Ramschniveau herabgestuft hatte.“ Zur Erinnerung, siehe oben: BlackRock ist einer der Haupteigentümer von Standard & Poor’s. Der „schwarze Riese“ war somit Krisenprofiteur, sein Aktienkurs stieg. Dafür darf Fink die Austeritätspolitik für die Länder der europäischen Peripherie und insbesondere Griechenland befeuern: Löhne und Renten senken, Sozialausgaben kürzen, privatisieren. Klar, dass im Feature nicht unerwähnt bleibt, was das „Griechenland retten“ in Wirklichkeit bedeutet: die Gläubiger retten.
BlackRock ist noch aus einem weiteren Grund ein Gewinner der jüngsten Entwicklung: Die nach dem Finanztsunami an den Pranger gestellten Banken werden einer strengeren Regulierung unterworfen. Das führt dazu, dass immer mehr Geschäft in den Schattenbankenbereich verlagert wird. Wie zu BlackRock. BlackRock ist eine Schattenbank. Schattenbanken üben bankähnliche Geschäfte aus, haben aber keine Banklizenz.
Und als sei das noch nicht genug, wird BlackRock auch noch als Dienstleister beauftragt: Zum Beispiel von der US-Regierung, um die faulen Kredite der geretteten Banken zu managen. Oder von der Troika, um die verschuldeten irischen und griechischen Banken zu durchleuchten. Dies schafft die Investmentfirma dank ihres Großrechners Aladin.

Austerität tötet

Wolfgang Schäuble behauptete im letzten Jahr, um die Länder im Rettungsprogramm – Irland, Portugal, Spanien, sogar Griechenland (bevor also Syriza in die Regierung gewählt wurde) – stehe es gut. Die Realität in Hellas: Es gibt keine Arbeit, jeder Vierte ist ohne Krankenversicherung. Die Selbstmordrate in Griechenland soll sich von der niedrigsten zur höchsten in ganz Europa entwickelt haben. Aus dem Abschiedsbrief des betagten Dimitris: „Ich glaube, dass junge Leute, die keine Zukunft haben, eines Tages nach den Waffen greifen werden.“
Da bleiben im Schuldenwiderstandsoratorium nur die Parolen der Betroffenen: „Retten wir uns vor den Rettern, vor Merkel, vor der Troika, vor den Gläubigern.“ „Retten wir uns auch vor Larry Fink.“ „Wir geben keine Ruhe mehr.“
Doch für die Europäische Zentralbank gilt unbeirrt: Mehr Geld für Geldhäuser, Großgläubiger und Vermögende. Der EZB-Präsident wird beraten von: natürlich, vom „schwarzen Riesen“.

Der bis hierher zusammengefasste Inhalt wird in diesem Feature-Oratorium gekleidet in einen skurrilen Sprechgesang aus Chor und Einzelstimmen, die sich auch schon mal aus dem Chor herausheben – wobei die Solisten David Moss als Larry Fink und Lars Rudolph hervorstechen. Die Performance klingt, als sei sie zumindest teilweise live in einem Stück eingespielt. Dazu erklingt hauptsächlich computergenerierte Musik. Den Inhalt zu verstehen ist im Fluss des Chor- bzw. Solistenvortrags bisweilen etwas anstrengend. Da ist die Lektüre des Manuskripts hilfreich.

Der Komponist, Musiker und Radiomacher Frieder Butzmann und die Autorin Barbara Eisenmann haben wiederholt zusammengearbeitet, etwa bei „Maschinenwinterresonanz“ (2010) und „Schnuppertag – Gesänge aus dem Land der Discounter“ (2009). Barbara Eisenmann hat mehrere Radiofeatures zu ökonomischen und sozialen Themen verfasst, zuletzt das DLF-Dossier „Stille Revolution. Oder: Von der Verrechtlichung neoliberaler Verhältnisse in der EU“.

Ergänzende Info zum Thema beispielsweise:
- Zu BlackRock und Larry Fink: „Der 4-Billionen-Dollar-Mann“. Heike Buchter, die Autorin des Artikels, bestätigt: „Keine Regierung, keine Behörde hat einen so umfassenden und tiefen Einblick in die globale Finanz- und Firmenwelt wie BlackRock.“ Von Buchter ist 2015 auch das Buch „BlackRock. Eine heimliche Weltmacht greift nach unserem Geld“ erschienen.
- Zu Griechenland in diesem Blog: „Arbeitslos, verschuldet, notleidend“.
- Zu Schattenbanken: ein Beitrag der Reihe SWR2 Wissen (mit Audio & Manuskript).

P = φ (A, B, γ)

Ein Schuldenwiderstandsoratorium

Von Barbara Eisenmann (Text) und Frieder Butzmann (Komposition, mit Ute Kannenberg und Daniel Mattar)
Mitwirkende:
Ölberg-Chor; Chor Judiths Krise (beide Berlin)
Sprecher und Sänger: Judith Engel (Erzählerin), Ute Kannenberg, Britta Flechsenhar, David Moss, Lars Rudolph, Daniel Mattar, Lennard Körber, Angelo Marinis, Sven Ake-Johanson
Regie: Barbara Eisenmann und Frieder Butzmann
SWR/NDR/DRadio Kultur 2015
Redaktion: Wolfram Wessels

SWR2, Reihe: Feature am Sonntag
6. Dezember 2015, 14.05 Uhr, 55 min.