Ein Leben, das fast nur noch in Briefen dokumentiert ist und von dem nicht einmal genaue Todesumstände bekannt sind. Dieses Musikfeature holt eine Persönlichkeit aus dem Dunkel des Vergessens, die zahlreiche prominente Künstler, vor allem Musiker, ihrer Zeit kannte und, wie der Briefwechsel widerspiegelt, zum Beispiel jahrzehntelang dem Komponisten Ernst Krenek verbunden war.
Emmy Rubensohn, Mädchenname Frank, wurde 1884 in Leipzig geboren. In Kreneks Autobiographie ist zu lesen, dass sie „aus einer jüdischen Familie von intellektuellem und gesellschaftlichem Niveau“ stammte. Sie hatte Interesse an geistigen und künstlerischen Aktivitäten und förderte die Kunst, insbesondere die Musik. In Kassel, der Heimatstadt ihres Ehemanns Ernst Rubensohn, wohnte das Paar in einer Villa auf dem innerstädtischen Weinberg unter der Adresse Terrasse 13.
Dauergast Ernst Krenek
Und dort im heimatlichen Haus hatte sie Mitte der 1920er Jahre Anteil am städtischen Musikleben, womit sie ins Licht der Überlieferung tritt: Emmy Rubensohn nahm den jungen Komponisten Ernst Krenek, der als musikalischer Assistent des Opernintendanten Paul Bekker an die Fulda gekommen war, für ein gutes Jahr in ihr Haus auf. Krenek wollte Oskar Kokoschkas Drama „Orpheus und Eurydike“ als Oper auf die Bühne bringen. Kokoschka arbeitete in diesem Stück seine leidenschaftliche, verunglückte Beziehung zu Alma Mahler auf. Krenek selber war für kurze Zeit deren Schwiegersohn gewesen, er war 1924 mit Anna, der Tochter von Alma und Gustav Mahler verheiratet. Uraufgeführt wurde „Orpheus und Eurydike“ im November 1926. Im Hintergrund wirkte Emmy Rubensohn, die in ihrem Salon die Beteiligten versammelte.
Ernst Krenek erzählt in seiner Autobiographie, wie ihm Emmy, als er in Kassel eintraf, geholfen hatte Fuß zu fassen, etwa durch kostenloses Wohnen in ihrem Haus und Benutzung ihres Flügels. „Die Lebens-und Arbeitsbedingungen waren so perfekt“, wie er es sich „unter den gegebenen Umständen nur wünschen konnte.“
Matthias Henke, der Autor dieser Sendung: „Rubensohns Mäzenatentum verdankte sich immerhin der größte Opernerfolg der Weimarer Republik“, Kreneks meist als Jazzoper etikettiertes Stück „Jonny spielt auf“, das in Emmys Haus entstanden war. Uraufgeführt in Leipzig kaum drei Monate nach der Orpheus-Oper, war „Jonny“ abgesehen vom Jazzidiom auch sonst ein ganz gegenwartsbezogenes Stück (daher auch „Zeitoper“), es enthält beispielsweise eine eingebaute Radioübertragung und eine simulierte Autofahrt. Krenek bezeichnete „Jonny spielt auf“ in seiner Autobiographie als seinen „größten Erfolg in dieser Welt“, der ihm „sagenhaftes Einkommen“ und Wendungen in seinem Leben brachte.
Jüdischer Kulturbund in Kassel
Mit dem Machtantritt der Nazis 1933 zählte Kreneks Musik zur „entarteten“, „Jonny“ wurde sofort verboten. Auch für Emmy Rubensohn brach eine Leidenszeit an. Zur Linderung schloss sie sich in Kassel der lokalen Organisation des Jüdischen Kulturbundes an, nach dessen Prinzip Juden als Künstler und Publikum nur noch unter sich bleiben konnten und nach dem Verständnis der Nazis auch sollten. Den Kulturbund in Kassel hat sie mitgeholfen aufzubauen und leitete ihn von 1933 bis 1938.
In dieser Funktion traf sie einen Bekannten wieder, den polnischen Dirigenten Joseph Rosenstock (1895-1985), der 1928 in Wiesbaden die Uraufführung von Ernst Kreneks drei Einaktern („Der Diktator“, „Das geheime Königreich“ und „Schwergewicht oder Die Ehre der Nation“) geleitet hatte. Rosenstock gründete das Orchester des Jüdischen Kulturbundes, ging 1938 nach Japan und von dort nach dem Krieg in die USA.
Exil: von Schanghai nach New York
Ende der 1930er Jahre hatte auch Emmy Rubensohn NS-Deutschland verlassen, um mit ihrem Ehemann nach Schanghai zu gehen, „dieser internationalen Abenteuerstadt“, wie sie in einem Brief an Oskar Kokoschka schrieb. 1940 traf das Paar in der damals von Japan besetzten ostchinesischen Hafenstadt ein. In ihrem exotischen Exil verdiente Emmy Geld als Kunsthandwerkerin – sie lernte erforderliche Techniken. 1949 zogen die Rubensohns nach New York, wo Emmy Joseph Rosenstock wiedertraf, der dort als Operndirigent tätig war.
Nach ihrer Ankunft in der Ostküstenmetropole wollte Emmy Rubensohn weiter „Kulturmanagerin“ sein: Eine von ihr konzipierte Ausstellung von Kokoschkas um „Orpheus und Eurydike“ entstandenen Bildern mit einer parallelen Aufführung von Kreneks Orpheus-Oper wurde aber nicht realisiert.
Für Emmy schmerzhaft: Ihr Mann Ernst starb 78-jährig Ende Mai 1951. Sie bat Krenek um eine Art Requiem für den Verstorbenen. Ergebnis waren die „Geistlichen Gesänge“ für Frauenstimme und Klavier, uraufgeführt 1953 in New York – mit dem Komponisten am Klavier.
Krenek – Mitropoulos – Mahler-Werfel
Auch nach dem Tod ihres Mannes nahm Emmy rege am New Yorker Musikleben teil. Unter anderem engagierte sie sich in der Riverside Church. Sie besuchte die Oper, insbesondere wenn Rosenstock dirigierte. Ein Höhepunkt für sie war Anfang Februar 1961 Wagners „Tristan“ mit Birgit Nilsson – unter der Leitung Rosenstocks.
Dank Ernst Krenek fand Emmy Eingang in den Kreis um den Chefdirigenten der New Yorker Philharmoniker Dimitri Mitropoulos. Der Komponist und der Interpret waren eng miteinander verbunden, Mitropoulos wurde Kreneks bedeutendster Uraufführungsdirigent. Doch Ende der 1950er Jahre war Mitropoulos bereits gesundheitlich angeschlagen. Sein Tod im November 1960 in Mailand beendete auch für Ernst Krenek eine fruchtbare Ära.
Eine Verbindung Emmy Rubensohns entstand auch bei aller Gegensätzlichkeit zu der egozentrischen Alma Mahler-Werfel, die 1951 von Kalifornien nach New York zog. „Emmy avancierte zu einer Art Intima von ihr“, so Matthias Henke. Beider Versuch, 1954 Krenek an der University of Southern California in Los Angeles als Nachfolger des verstorbenen Arnold Schoenberg zu installieren, scheitert.
Anfang März 1961 erlitt Emmy Rubensohn einen Herzinfarkt, wie sie geschwächt an Krenek schrieb. Nach ihrer Einlieferung ins Krankenhaus, so das Feature, verlieren sich die Spuren der 77-Jährigen. Ihr Nachlass mit den an sie gerichteten Briefen unter anderem von Krenek ist verschollen. Die von ihr geschriebenen etwa 100 erhalten gebliebenen Briefe zeugen von der Prominenz ihrer Briefpartner, neben Krenek und Kokoschka etwa die Dirigenten William Steinberg und Leonard Bernstein. Diese Schriftstücke überdauern als, so Matthias Henke, scheinbar einziges Zeugnis Emmy Rubensohns. Trotz intensiver Nachforschungen habe sich nicht einmal ein Foto von ihr gefunden.
Die Sendung ist durchsetzt von teilweise auch längeren Musikausschnitten hauptsächlich aus der Feder von Ernst Krenek (zum Beispiel Orpheus und Eurydike, Jonny spielt auf, Geistliche Gesänge). So erhält der Hörer auch Anhaltspunkte dafür, welch vielseitiger, interessanter Komponist Ernst Krenek war. Er sollte hierzulande häufiger aufgeführt werden. Mit Joseph Rosenstock erinnert die Sendung außerdem an eine Musikerpersönlichkeit, die dem breiten Publikum kaum bekannt sein dürfte.
Der Musikwissenschaftler Matthias Henke, Autor dieser Sendung, ist Professor an der Universität Siegen. Er ist Herausgeber der für kommendes Jahr angekündigten Edition des Briefwechsels von Emmy Rubensohn, „,Hindemith im Frack sah komisch aus‘. Die jüdische Mäzenatin Emmy Rubensohn im Licht ihres Briefwechsels“ (Universitätsverlag Siegen). Der Titel dieses Features, „Erinnerung an die Moderne“, ist angelehnt an den Untertitel von Ernst Kreneks mehr als tausendseitigem Memoirenbuch „Im Atem der Zeit. Erinnerungen an die Moderne“, in dem der Komponist, wie im Feature gehört, auch von seiner Kasseler Zeit im Haus von Emmy Rubensohn erzählt.
Die „Spurenlosigkeit“ des Lebens der Kunstenthusiastin bestätigt eine Internet-Suche. Immerhin kann man beim Leo Baeck Institute den Wortlaut eines Briefes von William (damals noch Hans Wilhelm) Steinberg an Emmy Rubensohn in Kassel von 1935, aus den Jahren des Jüdischen Kulturbunds, mit Abbildung der Vorderseite des Originals inklusive Umschlag entdecken.
(Zitate in diesem Text nach dem Wortlaut der Sendung.)