Bayern 2, 19. September 2015

Die Freiheit, nein zu sagen

„Bedingungsloses Grundeinkommen“: Der Verein „Mein Grundeinkommen“ in Berlin verlost es für ein Jahr

Seit einem Jahr verlost der von dem Jungunternehmer Michael Bohmeyer gegründete Berliner Verein „Mein Grundeinkommen“ über das Internet ein auf 12 Monate befristetes „Bedingungsloses Grundeinkommen“ von 1000 Euro pro Monat. Die Mittel dafür werden per Crowdfunding gesammelt. Gleich zwei Radiosendungen befassten sich am gleichen Tag mit der Initiative, dem Verein und darüber hinaus der seit Jahren diskutierten Idee eines „Bedingungslosen Grundeinkommens“. Dahinter steht, dass allen Menschen im Land eine finanzielle Grundsicherung in gleicher Höhe ausgezahlt werden solle. Kernfrage ist, ob ein solches Modell finanzierbar wäre.

Wunsch nach solidarischerer Gesellschaft

Wer steckt hinter der Initiative und dem Verein „Mein Grundeinkommen“, der durch seine Gründung in die Medien katapultiert und nun auch von zwei Radioreportern besucht wurde? Der 30-jährige Michael Bohmeyer sagt dem Deutschlandfunk-Reporter Manfred Götzke, er habe schon länger darüber nachgedacht, das Grundeinkommen einfach mal auszuprobieren, um von der theoretischen, spekulativen Debatte wegzukommen. „Ich wünsche mir eine Gesellschaft, die solidarischer miteinander sein kann, … wo es Freiräume gibt, … wo der Mensch nicht unter Ökonomisierungsdruck steht“. Und das Grundeinkommen sei ein wunderbares Mittel, um dahin zu gelangen. Ein eigenes Grundeinkommen hat sich Bohmeyer durch einen Online-Shop für Schilder erarbeitet, den er mitgegründet und dort jahrelang gearbeitet hat. Vor anderthalb Jahren ist er ausgestiegen, bleibt aber Anteilseigner und kommt als Empfänger von Gewinnausschüttungen auf knapp 1000 Euro monatlich. 
Die Bilanz nach einem Jahr sei unter anderem ein riesiges Interesse am Thema. Es habe sich gezeigt, dass Menschen bereit sind, für das Experiment zu spenden. Bisher (Anfang September) sind es 20.000 Spender, 4500 geben monatlich Geld. 70.000 Menschen sind für die Verlosung registriert, Michael Bohmeyer sieht aber keine Mitnahmementalität, denn noch vor kurzem waren es mehr Spender als Registrierte. Er sagt, es ginge darum, einen Dialog zum Thema herzustellen. Auch müsse abgewartet werden, welche Erfahrungen mit den verlosten Grundeinkommen gemacht werden, die Gewinner seien ganz unterschiedlich, etwa eine Rentnerin, ein Beamter, ein Arbeitsloser, auch ein Kind. „Wir holen die ganze Gesellschaft ab“, sagt Bohmeyer selbstbewusst. Er glaubt, alles wäre finanzierbar, das die Gesellschaft will. Durch die Einführung eines Grundeinkommens fiele ein immenser Verwaltungsaufwand wie bei HARTZ IV, Bafög oder Elterngeld weg und damit hohe Kosten, die ins Grundeinkommen fließen könnten. Der junge Berliner macht sich keine Gedanken darum, dass bei Auszahlung einer Grundsicherung niemand mehr arbeiten gehen würde, wie es Kritiker befürchten. Für die Menschen sei die Identifikation mit ihrem Job hoch, es würde sich mit einem Grundeinkommen gar nicht so viel ändern. Der mit der Agenda 2010 entstandene „flexible Niedriglohnsektor“ sei nur möglich, weil es kein Grundeinkommen gibt, aber ein Heer von Arbeitslosen. Wie sich die Menschen mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen entscheiden würden, sei durchaus offen. Freiheit bestehe aber nur dann, wenn man auch die Freiheit habe, nein zu sagen. Diese aber fehlt gegenwärtig, man müsse seine Haut zu Markte tragen.

And the winners are …

Was bewirkt der Gewinn eines zwölfmonatigen Grundeinkommens bei den Empfängern? Einige von ihnen haben die Reporter von DLF und BR besucht. Dabei ließen es sich beide nicht nehmen, bei einem Gewinner im Kindesalter vorbeizuschauen: Der neunjährige Robin war Ende November 2014 der fünfte Gewinner eines Bedingungslosen Grundeinkommens, angemeldet von seiner Mutter Olga. Ihre in Oberschwaben beheimatete vierköpfige Familie mit noch einer älteren Tochter rechnet sich zum Mittelstand, und die 46-jährige Mutter schätzt dann auch ein, dass andere das Grundeinkommen nötiger und sie selbst auch nicht bei der Crowdfunding-Kampagne gespendet hätten. Ein anfänglich schlechtes Gewissen abgelegt, wurde beschlossen, sich für ein Jahr mehr zu leisten, wovon auch manches dringend benötigt wurde, wie neue Kleidung für die schnell wachsenden Kinder. Für Gewinner Robin werden mehr Bücher, Musikunterricht und Bogenschießen finanziert. Es wurden Hausgeräte bezahlt, Ausflüge, Urlaub. „Es wurde uns ein Jahr Ruhe und Entspanntheit geschenkt, und wir sind sehr dankbar dafür“, sagt Olga. Die Krankenschwester in Teilzeit und ihr Ehemann, IT-Techniker, arbeiten weiter, 1000 Euro im Monat sind ja viel zu wenig für eine Familie. Auf die Frage des DLF-Reporters, ob das Grundeinkommen eine gute Sache sei, bejaht Olga: Es sei befreiend, dass es bedingungslos ist. Ihre Familie kennt Sozialhilfeempfänger, die sich dafür schämen. Bei HARTZ IV müsse man sich rechtfertigen, zu Ämtern rennen, Anträge stellen, sich bloßstellen. Mit dauerhaftem Grundeinkommen würden Alltags-Sorgen wegfallen, zum Beispiel vor Jobverlust.

Der 28-jährige Marc aus Kassel ist ein weiterer Gewinner der Initiative „Mein Grundeinkommen“ und betont ebenso wie Olga die Bedeutung der Bedingungslosigkeit der Leistung. Er leidet an chronischer Magen-Darmentzündung (Morbus Crohn). 18 Monate bekam er Krankengeld und war anschließend auf nötige Sozialleistungen angewiesen. Dafür musste er sich mit dem Medizinischen Dienst auseinandersetzen, das hat seine Schmerzen zunächst erhöht. Mit dem Gewinn des Grundeinkommens hat sich, da er, so seine Einschätzung, sich freier gefühlt hat, die Symptomatik zunehmend verbessert. Wenn das Sozialsystem, das auf ökonomischem Kalkül basiere, so viel Druck und Hürden aufbaut, profitiere niemand davon, weder Individuen noch die Gemeinschaft, meint Marc.

„Markus“ ist ein Grundeinkommens-Gewinner, den Bayern 2-Reporter Christoph Gurk in München besucht hat. Der in Anführungszeichen gesetzte Vorname ist nicht sein wirklicher. „Markus“ ist HARTZ IV-Empfänger und will anonym bleiben, weil er die gewonnenen Beträge behalten möchte, was er eigentlich nicht dürfte. Der Mittdreißiger war zwanzig Jahre in der Druckindustrie beschäftigt, hat mehrere Berufe gelernt, dabei wenig verdient, sah keine Zukunft in der Branche und ist ausgestiegen. Für das Geld vom Staat, das eben nicht bedingungslose HARTZ IV, muss „Markus“ Anträge stellen und an in seinen Augen sinnlosen Umschulungen teilnehmen. Die Arbeitsagentur hält er für unnütz, seine Jobs habe er immer selber gefunden. „Die Sozialverwaltung verschlingt so viel Geld“, mit den Verwaltungskosten könnte man auch etwas Sinnvolles tun, wie zum Beispiel ein Bedingungsloses Grundeinkommen einführen. Von seinem befristeten Grundeinkommen bezahlt „Markus“ unter anderem eine Umschulung, um mit Kindern zu arbeiten.

Grundeinkommens-Experiment in Namibia

Praxis-Versuche mit einem Grundeinkommen hat es auf internationaler Ebene bereits gegeben. Ein Beispiel ist das Dorf Otjivero in Ost-Namibia. Mit dem Arbeitsforscher Herbert Jauch, der an dem Projekt beteiligt war, hat Zündfunk-Reporter Christoph Gurk gesprochen.
Herbert Jauch lebt seit knapp dreißig Jahren in Namibia und begann als Arbeitsforscher, sich mit der Grundeinkommens-Idee zu befassen. Otjivero startete das Experiment mit Spenden vor allem aus Deutschland. An die Dorfbewohner wurden 100 Namibia-Dollar pro Monat ausgezahlt, umgerechnet 7 Euro. Das Dorf war vorher isoliert und sehr arm, die Menschen lebten in Wellblechhütten. Herbert Jauch beobachtete nach einem Jahr Grundeinkommen Veränderungen: Zum Beispiel mehr Schulerfolg der Kinder – vorher hatte die Hälfte von ihnen das Schuljahr nicht beendet. Nach einem Jahr schlossen 90 Prozent der Kinder das Schuljahr ab. Auch waren sie gesünder und besser ernährt. Im ganzen Dorf wurde ein Aufschwung beobachtet: Männer und Frauen begannen eine gewerbliche Tätigkeit, sie konnten ja nun selbst entscheiden, was sie tun wollten. Herbert Jauch sieht darin einen emanzipatorischen Effekt. Das Projekt sollte die namibische Regierung von der Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens überzeugen – dann mit Geldern vom Staat finanziert. Geklappt hat es nicht, da die Geldgeber ausgingen, als Fazit aber bleibt für Herbert Jauch: Zur Armutsbeseitigung gebe es nichts besseres als ein Bedingungsloses Grundeinkommen.

Zu betonen ist, so Entwicklungsökonom Rigmar Osterkamp, der das Projekt in Namibia begleitet hat und ein weiterer Gesprächspartner von Christoph Gurk ist, der unterschiedliche Zweck eines Grundeinkommens in einem armen oder einem reichen Land. In einem armen wie Namibia gehe es um Armutsbeseitigung, in einem reichen um „Freiheit“, um die Beseitigung des Erwerbsdrucks. Osterkamp ist ebenso wie der in Innsbruck und München lehrende Philosoph Ulrich Metschl – auch letzterer ist in der Sendung von Bayern 2 zu hören – für das Bedingungslose Grundeinkommen. Ob es funktionieren würde, so Metschl, ließe sich nicht berechnen – schließlich wäre es ein fundamentaler Systemwechsel mit Auswirkungen, die nicht präzise abgeschätzt werden könnten. Aus Gerechtigkeitsgründen käme man aber nicht am Bedingungslosen Grundeinkommen vorbei: Gesellschaft und Arbeit änderten sich gerade radikal: Die Arbeit wird mehr und mehr durch Maschinen ersetzt, was aber wird aus den freigesetzten Arbeitern? „Wir brauchen eine soziale Dividende“, sagt Ulrich Metschl, grundlegende Alternativen statt der üblichen Flickschusterei in der sozialen Gesetzgebung. Das Grundeinkommen hätte den Charme der Fairness.

IW: „Luftschloss“

Um auch einen Gegner des Bedingungslosen Grundeinkommens zu Wort kommen zu lassen, sprach Manfred Götzke vom Deutschlandfunk mit dem Arbeitsmarktexperten Holger Schäfer vom (üblicherweise als „arbeitgebernah“ etikettierten) Institut der deutschen Wirtschaft (IW), der alle vorgelegten Modelle eines Bedingungslosen Grundeinkommens für „problematisch“ hält. Das Konzept widerspreche „unserer Idee der Sozialen Marktwirtschaft.“ Selbstverantwortung (was nicht Unfreiheit sei) würde an den Staat delegiert, es drohe eine Gesellschaft, die am Tropf des Sozialstaats hängt. Somit schaffe das Grundeinkommen Unfreiheit – Schäfer argumentiert also im Gegensatz zu den Befürwortern des Konzepts. Viele Leute würden weniger, vielleicht gar nicht mehr arbeiten, die Wirtschaftsleistung abnehmen. Der Finanzierungsaufwand von etwa 1000 Milliarden Euro pro Jahr sei gewaltig – im Vergleich dazu koste HARTZ IV jährlich 40 Milliarden. Die Steuern müssten erheblich steigen, was sich wahrscheinlich auf den Anreiz zu arbeiten auswirken würde. Manche Kosten wie die Arbeitslosenversicherung könnten umgewidmet werden, trotzdem blieben gewaltige Finanzierungslücken – 200 Milliarden Euro laut Sachverständigenrat. Das System ALG II sieht Schäfer als gerechter, die Gegenleistung für Unterstützung sei das Bemühen, ohne diese Leistung auszukommen. Das Bedingungslose Grundeinkommen sei „ein Luftschloss, ich glaube nicht mal, dass es ein schönes Luftschloss ist, weil es nicht den Versuch unternimmt, die Eigenverantwortung der Menschen zu stärken“.

Das Experiment des Vereins „Mein Grundeinkommen“ geht nach einem Jahr weiter. „Damit das Grundeinkommen real wird, muss es in die Mitte der Gesellschaft“, sagt Michael Bohmeyer. Mit den Erfahrungen der Grundeinkommens-Gewinner bleibe es nicht mehr nur bei der Theorie – selbst wenn es nichts Positives wäre, könne darauf aufgebaut werden.

Money for Nothing: Die Idee vom bedingungslosen Grundeinkommen

Von Christoph Gurk

(Weitere Sendung am gleichen Tag zum Thema: 
Das Gesellschafts-Experiment
Der Verein „Mein Grundeinkommen“ zahlt Menschen jeden Monat 1.000 Euro
Am Mikrofon: Manfred Götzke
Deutschlandfunk, Das Wochenendjournal
19.9.2015, 9.10-10.00 Uhr
Zum Nachhören)

Bayern 2, Reihe: Zündfunk Langstrecke
19. September 2015, 19.05 Uhr, 55 min.