
Mit einer Produktion über das Leipziger Hotel „Astoria“ wurde auf WDR 5 die Feature-Reihe „Bitte nicht stören“ über Hotels der Welt, die Geschichte geschrieben haben, abgeschlossen.
24. Dezember 1996. Das Hotel Astoria am Leipziger Hauptbahnhof steht vor der Schließung. Natürlich ist die Stimmung unter den verbliebenen Beschäftigten auf dem Tiefpunkt, das Festessen zum Heiligen Abend wird deshalb aber nicht abgeblasen. Manche der Mitarbeiter sind seit Jahrzehnten dabei, Oberkellner Dieter G. etwa 37 Jahre, Kellner Frank K. 27 Jahre. Als den Beschäftigten im Herbst zuvor die Nachricht über die Schließung des Hauses mitgeteilt wurde, hätten sogar Männer geweint, denen man das gar nicht zugetraut hätte, so Frank K.
Küchenchef Otto B., seit 24 Jahren im Haus, hat nicht nur nostalgische Gefühle: Bereits zur Wende sei absehbar gewesen, dass das Haus in seinem gegenwärtigen Zustand keine Zukunft habe. Es sei nur noch etwas für Nostalgiker gewesen, ohne den Standard eines Business-Hotels einer Großstadt. 70 Köche hatte das Astoria einmal. Zum Abschied sind es nur noch fünf.
Als das Haus 1915 eröffnet wurde, war es Deutschlands modernster Hotelneubau mit damals 220 Zimmern, von denen alle verschieden aussahen. Es etablierte sich als erstes Haus am Platz. 1938 wurde das Hotel „arisiert“ (es gehörte einem jüdischen Bauunternehmer), 1943 durch alliierte Bomben zerstört. In der DDR betreibt zunächst die staatliche HO das Haus. Das Personal ist erstklassig, seine politische Loyalität wird überprüft. Ein Drittel der Beschäftigten sind Mitglied der SED.
Ausnahmezustand Leipziger Messe
Für das Astoria bedeutete die Messe in der Messestadt Leipzig den Ausnahmezustand, die Messezeit war gleichzeitig die Lebensader des Hauses. Es wurde offizielles „Protokoll- und Regierungshotel“ schon in den 50er Jahren. Mit einem Umbau 1979 bekam der DDR-Außenhandelsminister eine ständige Messeresidenz.
Die Leipziger Rauchwarenmesse (Pelzhandel) genoss schon in der Frühzeit des Astoria weltweiten Ruf. Zu DDR-Zeiten brachte sie internationales Flair mit entsprechend verwöhnten Gästen, die, so erinnert sich ein Mitarbeiter im Feature, eventuell von New York nach Leipzig kamen, um anschließend nach Leningrad weiterzureisen. Den Luxusbedürfnissen der Gäste musste das Astoria nachkommen – wenn etwa schwarzer Kaviar gefragt war, musste dieser beschafft werden. Ein Mangel wie bei Südfrüchten konnte dennoch nie richtig beseitigt werden.
Messe und Prostitution
Während der Messe hatte auch Prostitution, die offiziell in der DDR verboten war, Hochkonjunktur. Das sollte von der Hotelleitung in geregelte Bahnen gelenkt werden: Frauen mussten sich an der Rezeption anmelden. Die Devisen, insbesondere die D-Mark, hatten eine so starke Anziehungskraft, dass, so Kellner Frank K., die „Bardame von der Ostsee“ etwa sich zur Messezeit Urlaub nahm, um nach Leipzig zu kommen – weil Nachfrage zu erwarten war und weil DM winkten. K. erzählt auch von „Heerscharen von polnischen jungen Mädchen“, die aber des Hauses verwiesen wurden. Dass es Nutten im Auftrag der Stasi gab, um internationale Gäste auszuhorchen, davon erfuhren die Kollegen selbst erst später.
Auch die Stasi war zur Messezeit präsent. Alexander Schalck-Golodkowski, oberster Devisenbeschaffer und MfS-Offizier für besondere Angelegenheiten, ist Stammgast. Die Kollegen erinnern sich an Gespräche über Spionage („kundschafterische Tätigkeit“). Auch westdeutsche Gäste („mehr möchte ich dazu nicht sagen“) werden bemerkt. Allerdings bleibt unklar, wie der Astoria-Kollege erzählt, ob es Hauptamtliche waren oder Inoffizielle Mitarbeiter.
1972 bekommt das Hotel Astoria in Sichtweite Konkurrenz. 1980 finden Umbauten statt. In den 80er Jahren dann spitzen sich in allen Bereichen der DDR-Wirtschaft die Probleme zu. Und doch ging es noch über Jahre irgendwie weiter.
Wendejahre
1989 finden die Montags-Demonstrationen immer mehr Zulauf. Zwei Drittel der Astoria-Kollegen, so wird geschätzt, haben sich auch zur Wende engagiert. Dann, während die DDR zusammenbricht, wird das Astoria von Gästen überrannt. Waren darunter zunächst auch Zuhälter mit Nutten, dominierten ein Jahr später die Anwälte in Nadelstreifen und Anzug. Nun wurde das Astoria auch mit einer Angebotsschwemme konfrontiert, sagt Eckhard W., damals Leiter der Gastronomie. Gab es vorher eine Kaffeefirma, kommen jetzt Vertreter von bis zu neun Firmen – und alle haben natürlich den besten Kaffee. Die Umsätze klettern Anfang der 90er Jahre auf 24 Mio DM, die Mitarbeiter dachten, es könne nur noch aufwärts gehen, während gleichzeitig die Industrie zusammenbrach.
Privatisierung und Ende
1990 privatisiert die Treuhand die Interhotelkette, zu der das Astoria gehörte. Aus ihr geht die Interhotel GmbH hervor. Eine Berliner Immobilienfirma erwirbt den Hotelzusammenschluss, sie verspekuliert sich allerdings mit der Strategie, Gebäude und Grundstücke teuer weiterzuveräußern. Besitzer wechseln, die Geschäftsführung verbleibt bei der GmbH.
1993 versiegt der bis dahin anhaltende Gästestrom. 1996 werden in der Stadt schon mehr als zehn mal so viele Hotelbetten wie 1989 gezählt. Das Flair vergangener Zeiten allein reicht für das Astoria nun nicht mehr aus, auch wurden Umbaumaßnahmen verschoben. Ein rapider Personalabbau setzt ein, mehr als die Hälfte der Arbeitsplätze geht verloren. Die Mitteilung über die Schließung des Leipziger Hauses löst bei den Beschäftigten einen Schock aus, da die meisten dachten, es ginge doch noch weiter. Gegenwehr bleibt aus, ein Sozialplan wird akzeptiert. Im Herbst 1996 hat das Astoria noch 107 Mitarbeiter.
Die Kollegen, die lange, manche über Jahrzehnte zusammenarbeiteten, bildeten eine „verschworene Gemeinschaft“, ein besonderes „Kollektiv“ und „Zusammengehörigkeitsgefühl“. Und sie haben auch überall mitangepackt, damit der Laden lief: das heißt, wenn nötig, auch in der Spüle mitgestanden, in der kalten Küche mitgeholfen, Betten bezogen. „Ich bin jeden Tag unheimlich gern zur Arbeit gegangen“, sagt Helga K., langjährige Chefsekretärin, für dieses Feature, das die Atmosphäre der letzten Tage einfängt. „Das war wie eine Droge…“.
Der 30. Dezember 1996 schließlich ist der letzte Tag des 81-jährigen Hotellebens. Auch Gäste empfinden „Zorn“, wie Dorle Ilschner, aus Köln angereist, die schon im Kriegsjahr 1942 hier war. Ein Haus mit so viel Tradition, das dürfe nicht sterben, sagt sie. „Das tut weh“. Als würde man einen lieben Menschen verloren haben, nennt es für das Feature nach der Schließung eine nunmehr ehemalige Mitarbeiterin.
Am Leerstand des Hotels Astoria hat sich bis heute nichts geändert. Seine Fassade steht unter Denkmalschutz.