MDR Figaro, 21. Juni 2015

Der Hörspielautor Ror Wolf im Gespräch

Aus Anlass der Verleihung des Günter-Eich-Preises 2015

Der von der Medienstiftung der Sparkasse Leipzig alle zwei Jahre vergebene Günter-Eich-Preis für ein Hörspiel-Lebenswerk geht in diesem Jahr an den 1932 geborenen Autor Ror Wolf. Aus diesem Anlass besuchte MDR-Figaro-Moderator Thomas Bille den Preisträger und führte mit ihm ein in der Gesprächsreihe „Café“ gesendetes Interview.

Namenskürzel und Pseudonym

Wie kam es, wird zu Beginn gefragt, dass aus Richard Georg Wolf, so sein vollständiger Name, „Ror“ Wolf wurde? Es gab einen weiteren, eine Generation älteren Schriftsteller Richard Wolf (1900-1995), der zeitweilig Leiter des Goethe-Instituts in München war. Zur Unterscheidung bildete der jüngere aus seinen beiden Vornamen Richard Georg das kurze „Ror“. Und auch sein Pseudonym Raoul Tranchirer, Verfasser der „Enzyklopädie für unerschrockene Leser“, erklärt Ror Wolf: Tranchirer ergibt sich aus der Umkehrung seines eigentlichen Vornamens Richard, durch ein Spiel mit Lautung und Bedeutung. Lesen kann man das Pseudonym als „Raoul, der schneidet“. Und das passt zu Wolfs häufig angewandter Technik der Collage.

Herkunft

Ror Wolf wurde 1932 in Saalfeld, Thüringen, geboren. Die großzügig ausgestattete Bibliothek der gut situierten Handwerker-Familie hatte schon früh eine zukunftsweisende Bedeutung für ihn: Der kleine Richard schaute bereits in die Bücher, als er noch gar nicht richtig lesen konnte. Zum Studium wurde er in der jungen DDR nicht zugelassen, stattdessen lernte er zwei Jahre Betonbauer im Stahlwerk Maxhütte im nahen Unterwellenborn. Dort erlebte er auch russische Panzer am 17. Juni 1953. Als seine Bewerbung zum Studium ein zweites Mal abgelehnt wurde, beschloss er, die DDR zu verlassen. Sein Endziel war die Jazzhauptstadt Frankfurt am Main, eine Stadt, die er schon als Schüler von der DDR aus besucht hatte, als er sich per Anhalter „abenteuerlich im Westen bewegt“ hatte. 

Frankfurt am Main

1954 begann Ror Wolf in Frankfurt, Literatur, Soziologie und Philosophie zu studieren, nebenbei war er Redakteur der bedeutenden Studentenzeitschrift Diskus. In deren Feuilleton schrieb er Theater-, Kino- und Buchrezensionen, konnte aber auch schon eigene Texte unterbringen. 1961 wurde er Literaturredakteur beim Hessischen Rundfunk, gab seine Stelle nach zwei Jahren aber zugunsten eines Daseins als freier Schriftsteller auf, da er, wie er sagt, „dichterische und persönliche Freiheit“ brauchte.
Ror Wolf wurde Autor bei Suhrkamp. Und es ist eine passende Reminiszenz an den Namensgeber des Preises, der ihm im Juli überreicht wird, dass es Günter Eich, der vielleicht bedeutendste Hörspielautor deutscher Sprache, war, der Wolf zum Hörspiel brachte. In einem Gespräch bei Suhrkamp wurde Ror Wolf, den das Hörspiel bis dahin nicht interessierte, von Eich angeregt, in dieser Gattung zu schreiben. Und dies erfolgreich, wie sich erwies: Mit dem Schreiben von Hörspielen, so Ror Wolf im Gespräch, verdiente er als Autor erstmals richtig Geld.

Fußball-Hörspiele

„Jedes triviale Thema ist für mich in der Regel geeignet, um daraus Literatur zu machen“, sagt Ror Wolf im Lauf dieses Gesprächs. Auf den Fußball zu kommen, war nicht schwer: Dieser Sport war auch damals schon das Thema des öffentlichen Raums, überall wurde darüber geredet. Ab Ende der 60er Jahre begab sich Wolf mit Mikrofon in die Stadien und nahm Zuschauer- und Reporter-Stimmen auf. „Punkt ist Punkt“ war 1971 sein erstes Fußball-Buch. Von 1971 bis 1979 entstanden dann beim hr nummerierte Fußball-Collagen wie „Der Ball ist rund“ oder „Schwierigkeiten beim Umschalten“ (beide werden am 12. Juli ab 18.25 Uhr auf MDR Figaro gesendet). Ror Wolfs berühmtestes Fußball-Hörspiel dürfte aber „Cordoba Juni 13.45 Uhr“ sein, das im Wesentlichen aus einer Parallelmontage der deutschen bzw. österreichischen Radioreportage des WM-Zwischenrundenspiels Deutschland-Österreich von 1978 besteht, das die Österreicher unerwartet gewannen. 
Wie machte Ror Wolf seine Collagen? Voran ging eine zeitraubende Sichtung, Sammeln, Abschreiben und Auswerten von Material, für eine einzige Collage von bis zu 40 verschiedenen Fußballspielen. Immerhin rund ein Jahrzehnt beschäftigte ihn das Sportspektakel, dann hatte sich der Fußball als Thema für ihn erschöpft. 

Hörspielpreis der Kriegsblinden für Jazz-Hörspiel

Ein weiterer großer Hörspiel-Wurf von Ror Wolf bildet einen Schwerpunkt dieses Gesprächs: „Leben und Tod des Kornettisten Bix Beiderbecke aus Nordamerika“, 1987 produziert und mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden ausgezeichnet. Der Titel des Stücks ist auch ein Beispiel für Wolfs Sprachwitz: Er verweist auf Rilkes kurzes Prosawerk „Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“, wobei die graphische und Lautähnlichkeit Cornet (Fähnrich) – Kornettist zu einer ganz anderen Bedeutung führt. 
Gleichfalls ist das Hörspiel Ausdruck von Wolfs bereits in Saalfeld gepflegter Liebe zum Jazz, aber auch speziell zu dem Musiker Bix Beiderbecke, ein Vorläufer des Cool Jazz, dessen kurzes Leben bereits 1931 endete. Beiderbeckes Plattengesamtwerk lernte er in Frankfurt kennen. Die „klare, unheimliche Schönheit“ dieses Kornettspiels begeisterte Ror Wolf. Auch zu Beiderbecke sammelte er Material („alles zusammengetragen, was ich erreichen konnte“), aus dem ein Hörspieltext wurde. Bis das Stück produziert war, verging allerdings noch geraume Zeit. Der Autor wollte Christian Brückner (der damals noch nicht so bekannt war wie heute) unbedingt als Sprecher des Beiderbecke haben. Den, so Wolf, kannte der Regisseur Heinz Hostnig damals noch gar nicht, und man wusste zunächst auch nicht, wo er gerade war. In den USA, stellte sich heraus, um in Manhattan Off-Broadway-Theater zu machen. Für die Produktion wurde Brückner extra nach Baden-Baden eingeflogen.

Gegenwart und Zukunft

24 Hörspiele von Ror Wolf sind bisher gesendet worden. Zuletzt „Raoul Tranchirers Bemerkungen über die Stille“ (SWR), als „Hörspiel des Jahres“ 2007 mit einer weiteren bedeutenden Auszeichnung bedacht, und „Die Vorzüge der Dunkelheit“ (WDR/rbb 2012) nach dem gleichnamigen „Horrorroman“. Beide wurden bearbeitet und realisiert von dem Klangkünstler Thomas Gerwin, mit dem sich Ror Wolf auch eine weitere Hörspielarbeit vorstellen könnte, denn die Nummer 25 sollte es doch noch sein, so Moderator Thomas Bille. Dies aber hänge ab von dem Verhalten der Sender, worüber Ror Wolf lieber schweigen möchte. Er arbeitet auch an einer Autobiographie, gibt aber zu bedenken, dass er gesundheitlich eingeschränkt ist – schon 2001 überstand er eine schwere Krebsoperation.

Eine Aufzeichnung von der Verleihung des Günter-Eich-Preises 2015 sendet MDR Figaro am Sonntag, 12.7.2015, um 18.00 Uhr. Anschließend sind zwei von Ror Wolfs Fußball-Collagen aus den 70er Jahren zu hören.

MDR Figaro Café: Ror Wolf zu Gast

Schriftsteller, Hörspielautor, Künstler

Moderation: Thomas Bille

MDR Figaro
21. Juni 2015, 16.05 Uhr, 85 min.