SRF 2 Kultur, 9. September 2015

Zwischen Schwarzmarkt und Schreibstube

Premiere: „Bei Betty“ – ein Wolfgang-Koeppen-Hörspiel von Jan Decker

Der Hörspiel-Autor Jan Decker betrachtet einen Abschnitt im Leben des Schriftstellers Wolfgang Koeppen (1906-1996), von dem vor allem die in den 1950ern erschienene „Trilogie des Scheiterns“ („Tauben im Gras“, „Das Treibhaus“, „Der Tod in Rom“) bekannt geblieben ist. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg lebt Koeppen im Münchner Haus der Familie seiner gut 20 Jahre jüngeren Freundin Marion Ulrich. Sein Ziel ist, eine Existenz als Autor weiterführen zu können.

Den Rahmen des in 15 Bilder unterteilten Hörspiels „Bei Betty“ bildet ein – zunächst von Wolfgang Koeppen nicht vollständig ausgefüllter – Fragebogen des „Military Government of Germany“ zu seiner Person. An dem Punkt „Show the sources and amount of your annual income“ stockt er. Im nun einsetzenden Bild 1 mit der Zeitangabe November 1945 erfährt der Hörer, dass Koeppen ein Verhör durch die Amerikaner drohe, er also mit der Abgabe des Fragebogens etwas zu befürchten haben könnte. Vielleicht sogar die Internierung, wie im Verlauf des Hörspiels angedeutet wird. Allerdings ist das Ausfüllen des Fragebogens wichtig für sein Weiterkommen.

Prag 1944

Zum Überleben verkaufen Wolfgang und Marion Stücke aus dem Familienbesitz auf dem Schwarzmarkt. Er knüpft außerdem an alte Kontakte aus der Filmwelt an – in den Kriegsjahren war er Drehbuchautor –, damit sein Drehbuchentwurf „Bei Betty“ als Film realisiert werden könne.
Noch wacht ein Mr. Zetkow, ein jüdischer Exilant, früher selber Drehbuchautor, der nach dem Verlassen Deutschlands in die US-Army eingetreten war, über den (west-) deutschen Film. Er wünscht sich von Koeppen und seinen Kollegen „eine Szene nach einem wirklichen Stoff. Das Stichwort: Hotel Esplanade, Prag 1944, Vlasta.“ Ein dunkles Kapitel für Wolfgang Koeppen und seine damaligen Kollegen, die weitgehend auch die der Gegenwart des Jahres 1946 sind: In Jan Deckers Hörspiel gehörte Koeppen als Drehbuchautor zu einem Filmteam, das in der von Nazi-Deutschland besetzten tschechischen Stadt ein Lustspiel dreht. Vlasta, ein junges Mädchen, ist „Gespielin“ unter anderem von Koeppen. Im Kino, während einer laufenden Vorstellung, wird Vlasta durch einen Stich in den Nacken ermordet. Und Wolfgang Koeppen, so wird es das Hörspiel erzählen, war ein Zeuge dieser Tat…

Tatsächlich verarbeitet Koeppen in seinem Drehbuch die Vlasta-Geschichte – eher in Form einer Adaption. Zetkow favorisiert diesen Entwurf einer „sophisticated german tragedy“ zur Verfilmung. Als er aber Deutschland wieder verlässt, hat „Bei Betty“ keine Chance mehr. Nicht nur der Produzent Paul Thomsen meint, das Publikum wolle Koeppens Handlung mit einer „provisorischen Halbwelt“ in einem düsteren Schwarzmarkt-Nachkriegsmünchen nicht. Die in Auftrag gegebenen Filmtitel klingen nach Heimatfilm. Koeppen bleibt aber an seinem Entwurf dran, will ihn umschreiben.

Das letzte Bild – Nummer 15 – führt bereits ins Jahr 1948. Es ist das Jahr, in dem Marion und Wolfgang Koeppen auf Druck ihres Vaters heiraten. Wir hören, wie sich der Kreis schließt: Es ist Marion, die den verfluchten Fragebogen, den Koeppen zu Beginn teilausgefüllt liegenließ, nunmehr mit der Angabe über dessen Einkünfte in den Jahren 1939 bis 1945 vollendet.

Experten-Kommentare

Neben der eigentlichen Erzählung in 15 Bildern verfolgt das Hörspiel zwei weitere Stränge: Über seine Dauer verteilt sind Auszüge aus dem Drehbuch „Bei Betty“ zu hören – ein vor sich Hinsprechen des Textes wie beim Diktat –, mit dem Sound einer mechanischen Schreibmaschine unterlegt. Dieses Drehbuch ist authentisch: Der Suhrkamp Verlag erteilte für seine Verwendung „freundliche Genehmigung“. Außerdem sind ganz nach Feature-Art ans Ende einiger der 15 Bilder Kommentare gesetzt. Experten wie Jörg Döring, Herausgeber von Werken Wolfgang Koeppens bei Suhrkamp, und der Filmproduzent Peter Goedel äußern sich beispielsweise zu den Lebensumständen des Schriftstellers in den letzten Kriegs- und den Nachkriegsjahren oder zu dessen literarischen Ambitionen. Eine ehemalige Schreibkraft Koeppens ist eine wertvolle Zeitzeugin zu dessen Persönlichkeit und zu seinem Schreiben. Ein von ihr genanntes Zitat Wolfgang Koeppens wird zu einem Leitmotiv des Hörspiels: „Der Roman steckt in einer Sackgasse“, dies soll er immer wieder gesagt haben, und so ist es im Hörspiel wiederholt zu hören: In der Darstellung Jan Deckers wird aus der Sackgasse für Koeppen ein Grund, sich auf das Drehbuch zu konzentrieren.
Aber welcher Roman ist gemeint? Darauf antwortet „Wolfgang Koeppen“ am Schluss des Hörspiels selbst: Ein halbes Jahrhundert habe er am Roman seiner Jahre 1927-1948 geschrieben – um zu scheitern.

Ist’s authentisch, ist’s Fiktion? Eine Frage, die neben anderen Sachverhalten in diesem Radiostück insbesondere „Hotel Esplanade, Prag 1944“ betrifft, da diese Episode im Hörspiel eine gewichtige Rolle spielt. Die weiteren Figuren neben Wolfgang Koeppen und Marion dürften einen realen Hintergrund haben, ohne vielleicht auf eine konkrete Person zu verweisen. Jedenfalls wird, wer das inhaltlich ungemein dichte Hörspiel bewältigt, reich belohnt. Der Download auf der Sendungsseite ist auch außerhalb der Schweiz möglich (Stand 12.9.2015).

Bei Betty

Hörspiel von Jan Decker

Wolfgang Koeppen: Till Kretzschmar; Marion Ulrich: Sophia Löffler; Paul Thomsen: Patrick Blank; Walter Nepomuk: Siegfried Terpoorten; Heribert Ginster: Silvester von Hösslin; Lothar Brandt: Albert Liebl; Mr. Zetkow: Thomas Douglas; Friederike Thomsen alias Manon Gablé: Juliane Lang; Heinz: Dirk Glodde 
Im Originalton: Jörg Döring, Peter Goedel, Werner Fritsch, Annemarie Kunzmann, Asta Scheib
Regie: Johannes Mayr
Produktion: SRF 2015

SRF 2 Kultur
9. September 2015, 20.00 Uhr, 67 min.