SRF 2 Kultur, 2. Dezember 2015

Reichtümer, an denen der Geiz hängt, sind wertlos

„Timegünden und das wunscherfüllende Juwel“ – nach einem tibetischen Märchen

Zu anderer Zeit in der großen Stadt des Landes Beta wünschte sich der König, der zu seinen Schätzen unter anderem das wunscherfüllende Juwel zählte, die Geburt eines Sohns. Wie ihm aufgetragen, betete er, brachte Opfer dar und verteilte Almosen, damit dieser Wunsch in Erfüllung gehe. Die Prinzessin Gedenzangmo erzählt dem König von einem Traum, aus dem sie deute, dass sie einen Sohn gebären würde. Nach 9 Monaten kommt der Junge zur Welt, dem der Name Timegünden, das heißt der Unbefleckte, gegeben wird.

Schon als junger Mann will Timegünden die Besitztümer seines Vaters als Almosen verteilen. Der König stimmt zu, dass Güter den Armen gegeben werde. Sein Vorsteher Taradze, ein schlechter Geist, warnt den König davor, ein Herrscher ohne Güter zu werden. Er sagt, Timegünden solle reich heiraten, um sich damit seinerseits an seine Güter zu klammern. Der Prinz heiratet Mendezangmo, die Tochter des Königs vom Lande des Lotus. Ihnen werden Drillinge geboren, zwei Knaben, die „Tugendrein“ und „Gut und Edel“ genannt werden, und ein Mädchen namens „Gut und Schön“.
Doch Timegünden will weiter den Besitz seines Vaters den Armen geben, deren Leiden ihn betrüben. Mit Almosen, sagt er, wäre er von seinem Schmerz befreit. „Mach mit meinem Reichtum, was du willst“, erwidert der König und übergibt Timegünden den Schlüssel zu seinen Schätzen. Nun wächst bei einem anderen, bösen König das Begehr nach dem wunscherfüllenden Juwel, das ihm ein Brahmane beschaffen will. Dieser sagt bei Timegünden, sein König sei verstorben, er wolle ein Almosen, und das solle das wunscherfüllende Juwel sein. Timegünden sagt, über das Juwel verfüge sein Vater. Er gibt es aber trotzdem heraus, obwohl ihm damit die Todesstrafe droht. Der lügenhafte Brahmane kehrt auf einem Elefanten, den Timegünden ihm gibt, zurück.
Der schlechte Vorsteher Taradze verrät nun dem König, dass das Juwel als Almosen an einen Feind gegeben wurde. Timegünden gesteht dies, daraufhin ist sein Vater untröstlich, damit sei sein Reich vernichtet. „Reichtümer, an denen der Geiz hängt, Vater, sind wertlos“, sagt Timegünden. Der König, der seinen Sohn nicht wiedererkennt, übergibt ihn dem Henker. Da er aber auch seine Vorsteher fragt, wie Timegünden zu bestrafen sei, und der Intendant Dauazangpo nach einer Beratung für die Freilassung Timegündens plädiert, wird dieser vom König verbannt. Er soll 12 Jahre am Berg der Dämonen verbringen. Timegünden nimmt diese Strafe auf sich und leistet den Eid, alles, was er habe, als Almosen zu geben. Mendezangmo solle zu ihrem Vater zurückkehren. Die aber will mit in die Verbannung, und Timegünden akzeptiert. Er verabschiedet sich von seiner Mutter Gedenzangmo, die sagt, während dieser 12 Jahre werde sie nicht leben.

Timegünden, seine Frau und die Kinder machen sich auf den Weg zum Berg der Dämonen. Als bettelnde Brahmanen um Almosen bitten, schenkt ihnen Timegünden seine Elefanten und Pferde. Die Familie erreicht die Prärie, wo wilde Tiere Gefahr bedeuten. Der Prinz fordert seine Frau auf, mit den Kindern umzukehren. Mendezangmo aber will Timegünden überallhin folgen. 
Im Land des kupfernen Lichtes bitten erneut drei arme Brahmanen um Almosen. Auf Timegündens Hinweis, er habe nichts mehr, das er geben könne, weisen ihn die Brahmanen auf seine Kinder hin. Timegünden, sich seines Schwurs erinnernd, gibt sie ihnen, obwohl sie noch so klein sind. Gut und Schön jammert darüber, nun Dienstmagd bei Brahmanen zu werden, will aber dem Willen des Vaters folgen. Timegünden trennt sich nur unter großem Schmerz von seinen Kindern – „ihr seid mein eigenes Herz in meiner Brust“ –, sagt aber, es müsse sein, da sein Gelübde laute, jedes erbetene Almosen zu gewähren. Mendezangmo, die Nahrung für die Kinder gesammelt hatte und nun zurückkehrt, ist zornig, stößt Schmerzensschreie aus und spricht einen Fluch gegen Timegünden und die Brahmanen. Ihrem Gemahl gelingt es, sie zu besänftigten.
Der Weg des Prinzenpaares bleibt beschwerlich: Im Land der brausenden Winde verwandelt sich Indra, der König der Götter, zur weiteren Prüfung Timegündens in Brahmanen, die von ihm seine Frau verlangen. „Der tiefste Sinn des Glaubens ist die Gabe des Reichtums“, so Timegünden, der seinen Schwur nicht brechen will, zu Mendezangmo. Er stellt sie aber vor die Wahl zu gehen oder bei ihm zu bleiben. Die Gemahlin ist unter Tränen bereit zu gehen, die Brahmanen aber geben sie zurück – dies sei eine Falle gewesen: „Deine Werke geben deinem Leben einen Sinn. … Wir wollten die Wahrheit deiner Liebe prüfen“. Mendezangmo darf bei Timegünden bleiben.
Nach weiteren Versuchungen und Gefahren durch Geister, Sirenen und wilde Tiere, die ihnen im dunklen Wald erscheinen, erreichen Timegünden und Mendezangmo den großen Berg der Dämonen, der von ewigem Schnee bedeckt ist. Timegünden baut aus Blättern zwei Hütten für sich und Mendezangmo. 

Die Zeit der Verbannung nähert sich ihrem Ende und Mendezangmo erwartet ungeduldig ihre Rückkehr. Sie schickt mit Blumen über einen Fluss bis ins Land Beta für die drei Kinder eine Nachricht, die die Tochter Gut und Schön empfängt und ihrerseits durch eine Nachtigall eine Antwort zum Berg der Dämonen sendet.
Nach 12 Jahren am Ort erinnert Mendezangmo, dass es Zeit ist für die Rückkehr in die Heimat. Das Prinzenpaar bricht auf. Doch bevor Timegündens Weg zu einem glücklichen Ende findet, steht ihm noch eine schwere Prüfung bevor. 

Seinen Zauber gewinnt dieses über 25 Jahre alte Hörspiel durch die Musik des Schweizer Perkussionisten Pierre Favre. Es setzt noch bevor die Erzählung beginnt mit einer Klangsequenz ein. Gongs, Metallophone – wie sie zum Teil im Gamelan-Ensemble verwendet werden –, Glockenspiel, kleine und tiefe Trommel sowie Holzschlaginstrumente lassen den Hörer in eine fernöstliche Atmosphäre eintauchen. Mal schwillt ein Ensemble von Schlaginstrumenten zum Gewitter an – während der Beratung der Vorsteher –, mal erhält eine Figur ihren eigenen Sound – so der „böse König“, wenn er spricht. Am Ende verklingt alles leise. Ein Schmankerl für Hörspielliebhaber sind die Stimmen von Wolfram Berger und André Jung, beide als Sprecher wohlbekannt, die hier mit merklich jüngerem Organ zu hören sind, als von heute vertraut.

Audio des Hörspiels ist verfügbar (Stand 11.2.2016).

Timegünden und das wunscherfüllende Juwel

Tibetisches Märchen in einer Hörspielfassung von Ettore Cella

Mit Wolfram Berger (Erzähler), André Jung (Timegünden), Renate Steiger (Gedenzangmo), Ingold Wildenauer (König, Vater von Timegünden), Charlotte Schwab (Mendezangmo), Thomas Stuckenschmied (Tugendrein), Katja Amberger (Gut und Schön), Hans-Rudolf Spühler (Dauazangpo), Jon Laxdal (der andere König), Hans Gert Kübel (Indra) und anderen
Musik: Pierre Favre
Regie: Franziskus Abgottspon
Produktion: SRF 1988

SRF 2 Kultur, Reihe: Hörspiel
2. Dezember 2015, 20.00 Uhr, 60 min.