SWR2, 30. Dezember 2015

Medienkritiker unter sich

Und das bei öffentlich-rechtlich: ein SWR2-Feature

„Diesen Aufstand wegen Inhalt, den hab ich zu meinen journalistischen Lebzeiten noch nicht erlebt.“ – Walter van Rossum als eines der Eingangsstatements in diesem Feature. Als Folge sind die Leitmedien „angepisst“, weil ihnen nicht mehr blind vertraut wird, sagt Lars Schall, ein für Alternativmedien arbeitender Journalist.

Wenn in diesen Leitmedien mal so etwas wie Selbstkritik anklingt, dann meist auf eine Weise wie: Ja, natürlich machen wir auch Fehler, die korrigieren wir doch aber, und das macht uns doch noch nicht zur Lügenpresse. Insofern ist es bemerkenswert, dass in einem „Leitmedium“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einmal praktisch ausschließlich Medienkritiker zu Wort kommen. Eine Sendung, in der, so meine Einschätzung, auch medienkritisch geübtes Publikum die eine oder andere Entdeckung machen könnte.

„Lügenpresse“?

Das hässliche Wort ist nun gefallen. Für die in der Sendung sich äußernden Fachleute trifft der heftig diskutierte Begriff „Lügenpresse“ nicht den Kern des Problems. Der Leipziger Medienwissenschaftler Uwe Krüger, dessen Buch „Meinungsmacht“ nach seiner Veröffentlichung 2013 in medienkritischen Kreisen mit viel Aufmerksamkeit bedacht wurde (dazu mehr weiter unten): „Das Problem ist die Auswahl der Informationen.“ Der Politik- und Medienwissenschaftler Jörg Becker ergänzt, es werde für „selektive Aufmerksamkeit“ gesorgt, indem bestimmte Themen in den Vordergrund gerückt, andere bewusst unterdrückt würden. Es ist, sagt Lars Schall, nicht alles, was nicht Wahrheit ist, automatisch Lüge.

Mainstream- vs. Alternativmedien

Der im anglo-amerikanischen Raum verwendete Begriff Mainstream-Medien hat sich zunehmend auch im deutschen Sprachraum durchgesetzt. Er meint, dass es „einen medialen Hauptstrom“ (U. Teusch) gibt. Alternativmedien sind meist präsent im Internet, so die NachDenkSeiten oder TELEPOLIS, die zu den vielbeachteten deutschsprachigen Portalen gehören. Sie nehmen häufig andere Positionen zu den gerade dominierenden Themen ein oder betrachten Bereiche, die im Mainstream nicht vorkommen. Ziel ist, so explizit bei den NachDenkSeiten, die Herstellung von Gegenöffentlichkeit. Lars Schall meint salopp in diesem Feature, die Leute würden Dieter Bohlen kennen, wissen aber nicht, dass die Finanzkrise noch nicht ausgestanden ist – wie der Mainstream behauptet. Komplementäre Information wäre also dringend geboten.

Sprachregelungen

Der umstrittene Autor Udo Ulfkotte, ehemals bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, landete mit seinem Buch „Gekaufte Journalisten“ einen veritablen, von den Leitmedien beschwiegenen Bestseller. Von seiner Zeit bei der FAZ weiß er, dass es Sprachregelungen, Tabuthemen, „Tendenzschutz“ gab, „man wurde auf alles geeicht“ (Ulfkotte). Und er war nach eigenem Eingeständnis selber ein „geschmierter Journalist“, für (O-Ton) „eine wunderschöne Fünf-Sterne-Luxus-Super-Einladungsreise“ nach Südafrika und Namibia lieferte er Gefälligkeitsberichte, in diesem Fall in der zeitweise gesendeten „Tele-FAZ“. Für die USA bestätigt Chris Hedges, der unter anderem 15 Jahre Auslandskorrespondent bei der New York Times war (und in diesem Feature bereits zuvor zu vernehmen ist), dass bei der Presse, vor allem bei Themen der nationalen Sicherheit, sehr enge Vorgaben existierten. Inoffizielle Linie der New York Times sei es, niemanden vor den Kopf zu stoßen, von dem das Blatt wirtschaftlich abhängig ist: die Werbekunden also. Auch der Zugang zu den Mächtigen solle nicht verbaut werden, indem man sie zu sehr ärgert. Hedges war einer der wenigen US-Journalisten, die den Irak-Krieg ablehnten und war bei der New York Times schon gefeuert, als von seinem Arbeitgeber ein Jahr nach der Irak-Invasion Selbstkritik im Hinblick auf den Krieg kam. Hedges ist Buchautor, schreibt heute ebenfalls für Alternativmedien und ist politischer Aktivist.

Gefälschte Nachrichten

Johannes Grotzky, ehemaliger Hörfunkkorrespondent unter anderem in Moskau, Osteuropa und auf dem Balkan und von 2002 bis 2014 Hörfunkdirektor des Bayerischen Rundfunks, nennt mehrere Beispiele für gefälschte Nachrichten: Von seinen Einsätzen auf dem Balkan während der Jugoslawien-Kriege erinnert er sich, dass es „Korrespondenten [gab], die nie im Kriegsgebiet waren, zum Beispiel in Sarajewo selbst, aber mit vehementer Anteilnahme so getan haben, als ob, und das mit Fremdmaterial, und das ist auch in der Tagesschau gesendet worden.“ Als weitere Beispiele nennt er angebliche Berichte aus Peru und aus Afrika, für die in Wirklichkeit Archivmaterial zusammengestellt und als authentische Reportage verkauft wurde.

Kontakte zu Geheimdiensten

Grotzky erzählt auch, wie sich nach Lektüre eines Buches von ihm über den Balkan der Bundesnachrichtendienst bei ihm meldete und Quellen von ihm herausbekommen wollte. Der Journalist ging zum Schein darauf ein, bekam für regelmäßige Berichte an den BND einen Decknamen und eine beachtliche Summe Geld geboten. „Dann hab ich das alles so gemacht, bin zu meinem Vorgesetzten gegangen, hab das geschildert und anschließend hab ich‘s öffentlich gemacht. – Die Frage ist: Macht das jeder?“ Der Autor dieses Features Ulrich Teusch erinnert daran, dass die Verbindung von Geheimdiensten zu Journalisten ein alter Hut ist: „In ihrer berühmt-berüchtigten ,Operation Mockingbird‘ hat die CIA jahrelang viele einflussreiche Journalisten mit Geld und Informationen korrumpiert. Die lieferten im Gegenzug die gewünschte Desinformation und Propaganda“.

Nähe zur Macht

Warum nehmen Journalisten von Unternehmen oft großzügig gewährte Rabatte oder Geschenke an? Welche Folgen hat dies für ihre Berichte? Etwa bei Autotestern oder Sportjournalisten? Wie wirkt sich Nähe zu bestimmten Politikern im Journalismus aus? Nocheinmal Grotzky im Feature: „Ich weiß einen Kollegen vom ,Spiegel‘ […], der mir mal erklärt hat, wie er praktisch ein Leben lang auf bestimmte Politiker abgestellt war und sagt, ,ich kann praktisch die Interviews schon ohne Rückfrage mit denen schreiben, und wir sind schon so eng befreundet, dass es mir schon fast peinlich ist.‘“ Dass „Alpha-Journalisten“ an den westorientierten, pro-amerikanischen Netzwerken wie Atlantik-Brücke oder German Marshall Fund teilnehmen, hat Uwe Krüger in seiner als Buch veröffentlichten Doktorarbeit „Meinungsmacht“ aufgezeigt. Die ZDF-Kabarettsendung „Die Anstalt“ hat es bekannt gemacht – und machte damit Furore in medienkritischen Kreisen. Betroffene Journalisten behaupten, dass ihre publizistische Unabhängigkeit nicht tangiert sei. Uwe Krüger wendet dagegen ein, die Perspektive verschiebe sich bei zunehmender Nähe zu Trägern der Macht: „Je mehr sie erfahren vom Denken, vom Problembewusstsein oder der Perspektive der Eliten, desto mehr […] tendieren sie dazu, sich das auch zu eigen zu machen und dann auch so zu argumentieren.“ 

Gleichklang

Von einem Gleichklang in den Medien spricht Johannes Grotzky. Walter van Rossum sagt in diesem Feature, für Berichte etwa über die Ukraine schreibe bereits der innere Zensor Journalisten vor, wie sie zu berichten haben. Zu dem Konflikt in der osteuropäischen Region meint Grotzky: „Die Entscheidung war bei uns, auch politisch, dass wir die Ukraine als ein Opfer gesehen haben russischer Politik, das jetzt durch unsere Unterstützung zu unserem Freund wird, und die Russen wiederum die Täter sind.“ In diesem Berichtszusammenhang kam es gar zu Exzessen: Für Grotzky ist der „Spiegel“-Titel vom Sommer 2014 „Stoppt Putin jetzt!“ ein journalistischer Tiefpunkt und die zur Schlagzeile gemachte Frage der „Welt“ „Würden Sie Krieg gegen Russland führen, Frau Merkel?“ eine „agitatorische Unverschämtheit“. 
Auf seine russlandkritischen Berichte angesprochen, rechtfertigt sich der Moskau-Korrespondent der ARD Udo Lielischkies beim „ARD-Check“, er könne doch gemeinsam mit den Kollegen aus diversen Ländern, die ähnlich berichten, von keinem „russenfeindlichen Virus“ erfasst sein. Die Mehrheit der Journalisten orientiere sich aber am Schwarm, meint Lars Schall – auch aus Furcht angegriffen zu werden. Ein Wirtschaftsredakteur der SZ, das Beispiel nennt Uwe Krüger im Feature, etwa wurde im Vorfeld der Einführung des Euro ermahnt, mit kritischen Berichten die Märkte nicht zu beunruhigen. „Jeder Tag ist ein Tag des Kampfes gegen Einflussnahme von außen“, weiß Johannes Grotzky auch aus seiner Zeit als Programmdirektor. Wobei die Beeinflussung „wohlmeinend“ daherkommt – Tenor: Bring doch mal dieses oder jenes bei dir im Programm unter. 

Westliches Informationsmonopol ist gebrochen

Seit dem Irakkrieg von 1991 haben CNN und die westlichen Informationskanäle ihr Monopol verloren. Um CNN, Fox News oder BBC World etwas entgegenzusetzen, startete im Jahr 2005 der russische, staatlich finanzierte Sender „Russia Today“, der als Name inzwischen nur noch seine Initialen RT verwendet. Seine Programme in mehreren Weltsprachen erreichen bis zu 700 Millionen Zuschauer. Sogar prominente US-Journalisten, unter ihnen Interviewer-Legende Larry King, sind heute auf RT präsent. Grotzky meint, das Programm sei nicht nur Propaganda. Es enthalte „in einem sehr hohen Umfang“ Nachrichten „mit Dingen, die wir nicht haben hier.“ 
Und es wächst die Zahl internet-basierter Alternativmedien. Johannes Grotzky, der seit seinem Ausscheiden als BR-Hörfunkdirektor Honorarprofessor am Institut für Slawistik der Universität Bamberg ist, hat ermittelt, dass unter seinen Studenten inzwischen soziale Netzwerke die Hauptquelle für Informationen sind und bezeichnet diese als „die führenden Medien, die im Moment die Deutungshoheit über viele Fakten an sich ziehen.“ 

Fazit: Neben der bemerkenswerten Tatsache, dass in dieser Sendung einmal Medienkritiker unter sich sind, ist unter anderem in der Wahl von Udo Ulfkotte als Gesprächspartner praktisch ein Tabubruch zu sehen. Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk habe ich ihn bisher nur bei den „Fragen an den Autor“ von SR 2 erlebt. Sehr lehrreich außerdem, wie Johannes Grotzky Hörerinnen und Hörer an seinem Erfahrungsschatz teilhaben lässt. 
Das Manuskript zur Sendung, dem sämtliche Zitate entnommen sind, weist leider kleine Lücken auf.

Nachtrag: 2016 erschien vom Autor dieses Features das Buch „Lückenpresse. Das Ende des Journalismus, wie wir ihn kannten.“ Ulrich Teusch ist auch Sachbuchautor und betreibt die Webseite AUGEN AUF! UND DURCH ….

Vertrauen ist gut …

Die Medien und ihre Kritiker

Von Ulrich Teusch
Sprecher: Nadine Kettler, Minna Wündrich, Sebastian Mirow
Regie: Maria Ohmer
Produktion: SWR 2015
Redaktion: Wolfram Wessels

SWR2, Reihe: Feature
30. Dezember 2015, 22.03 Uhr, 57 min.