Deutschlandfunk, 20. Januar 2017

Keine „wunderbare Demokratie“

Manipulationen beeinflussen den Wahlausgang in den USA
Reporter-Spürnase unterwegs: Greg Palast (Pressebild)
Reporter-Spürnase unterwegs: Greg Palast (Pressebild)

Ein DLF-Dossier schaut über den großen Teich: Schon einige Zeit vor der Wahl war es ein großes Thema in den US-amerikanischen Medien – Wahlbetrug („voter fraud“), den das Wahlsystem vermeintlich ermöglicht. Der Kandidat der Republikaner Donald Trump erklärte, sicher zu sein, dass es Mehrfachwähler gebe. Bei Fox News wurde für die Wahlen von 2012 von einer Größenordnung von einer Million gesprochen. 
Die Folge: „Viele Bundesstaaten haben ihre Wählerverzeichnisse durchforstet und vermeintliche Wahlbetrüger gelöscht. Doch dabei haben sie auch viele rechtmäßige Wähler um ihr Stimmrecht gebracht. Bis zu eine Million Menschen könnten an der Stimmabgabe gehindert worden sein – und zwar vor allem Wähler von Hillary Clinton“, so Thomas Reintjes, der Autor dieser Sendung.

Introducing: Greg Palast, Reporter

Reintjes übernimmt damit ein Recherche-Ergebnis des US-amerikanischen investigativen Reporters und früheren Privatdetektivs Greg Palast, den er für diese Sendung in den USA getroffen hat. Palast hat sich unter anderem, wie er sagt, mit der „wahren Geschichte der amerikanischen Wahlen“ befasst, „die nicht sehr hübsch ist.“ Und tatsächlich, so Reintjes: „Es gibt so viele, schier unglaubliche Tricks, mit denen US-Wahlen in jüngster Zeit manipuliert wurden“, dass in einer Sendung von einer knappen Dreiviertelstunde nur zum Teil darauf eingegangen werden könne.
Reintjes führt weiter aus, wie sich in den USA die demographische Zusammensetzung verschiebt: Zugunsten von Lateinamerikanern und Asiaten, die zahlreicher würden, „die weiße Bevölkerungsmehrheit stagniert. Das ist vor allem ein Problem für die Republikaner, denn Angehörige von Minderheiten wählen überwiegend die Demokratische Partei. Also haben sich vor allem republikanische Politiker in den letzten 15 Jahren eine Menge einfallen lassen, wie sie vor allem Minderheiten vom Wählen abhalten können.“
Wer in den USA wählen will, muss selbst aktiv werden, sich im Wählerverzeichnis registrieren lassen und seine Daten auf dem aktuellen Stand halten. Thomas Reintjes: „Experten schätzen, dass ein Viertel oder sogar ein Drittel der Wahlberechtigten in den USA sich nicht als Wähler registriert haben. Das wären 50 bis 70 Millionen Menschen“. Zwar ist eine Online-Registrierung unkompliziert, manche Bundesstaaten (eher die südlichen) aber haben in den letzten Jahren die Registrierung komplizierter gemacht: Sie verlangen eine Kopie der Geburtsurkunde bzw. bei Einwanderern die Einbürgerungspapiere – angeblich um Wahlbetrug zu verhindern. Die notwendigen Dokumente zu beschaffen, kostet aber bis zu 175 Dollar – und das sei diskriminierend, sagt in der Sendung die Bürgerrechtsanwältin Marcia Johnson-Blanco: Damit seien Ärmere, das bedeutet überdurchschnittlich Afroamerikaner und Latinos, stärker belastet. 

Interstate Crosscheck

Kris Kobach ist Secretary of State in Kansas, ein in diesem Bundesstaat wichtiges Amt, das unter anderem Wahlen und Wählerverzeichnis beaufsichtigt. Um der vermeintlichen Doppelwahl von Wählern in zwei verschiedenen Bundesstaaten einen Riegel vorzuschieben, begann er, mit einem Programm namens Interstate Crosscheck die Wählerlisten verschiedener Bundesstaaten abzugleichen. Und kam für die Wahlen von 2012 auf 7,2 Millionen Wähler, die unter Verdacht gerieten, doppelt gewählt zu haben. Dafür drohen in den USA immerhin bis zu fünf Jahre Gefängnis.
Greg Palast ist dem Befund für seinen Film „The Best Democracy Money Can Buy“ nachgegangen und fand heraus, dass von diesen gut sieben Millionen nicht einmal sieben verhaftet wurden. Und etwa in North Carolina offenbar niemand ihrer habhaft werden will, obwohl sie leicht zu finden wären. Palast, der an einen Auszug aus der Liste mit angeblichen Mehrfachwählern kam, suchte Einzelne von ihnen auf und erkannte schnell, dass die Vorwürfe, wenn etwa ein gewisser Willie Nelson vierzehnmal gewählt haben soll, absurd sind. Er „trifft meist auf einfache, arglose, von der Situation fast überforderte Menschen. Keiner von ihnen scheint je mit dem Vorwurf des Wahlbetrugs konfrontiert worden zu sein.“ Bei Crosscheck, folgert Palast, gehe es nicht darum, Wahlbetrug aufzudecken. Sondern um einen Vorwand dafür, eine Wählerregistrierung, eine Wahlstimme zu löschen. Dabei ist es durchaus legal, in mehreren Bundesstaaten für die Wahl registriert zu sein. Nur eben nicht, bei der gleichen Wahl mehrmals zu wählen.
Greg Palast sieht seine Vermutung insofern bestätigt, als Crosscheck zweite Vornamen, die in den USA häufig sind, ignoriert. Zum Beispiel sollten diverse registrierte Wähler mit dem Namen James Brown, aber abweichenden zweiten Vornamen, angeblich identisch sein. James Brown ist ein häufiger Name in den USA – vor allem bei Afroamerikanern, die eher nicht dazu neigen, Republikaner zu wählen. Und auch bei Latinos sind bestimmte Namen besonders häufig. Wen wundert es, dass die an Crosscheck teilnehmenden Bundesstaaten alle republikanisch regiert werden.

Statistik widerlegt Crosscheck

Bei Crosscheck werden Vorname, Nachname und Geburtsdatum verglichen. Der Statistikexperte Sharad Goel erläutert in der Sendung, wie es aufgrund der ungeheuer hohen Zahl der US-amerikanischen Wähler [ca. 139 Millionen] nach statistischen Regeln durchaus wahrscheinlich ist, dass bei Übereinstimmung von Vor- und Nachnamen sowie Geburtsdatum es sich dennoch um verschiedene Personen handelt. Sharad Goels Forschungsgruppe kam zu dem Ergebnis, dass die tatsächliche Anzahl von Doppelwählern gegen Null tendiert. Die Wissenschaftler kamen an die Liste angeblicher Doppelwähler in Iowa, denen die Streichung aus dem Wählerverzeichnis drohte. Mit dem Ergebnis, dass auf einen tatsächlichen Doppelwähler etwa 200 legitime Wähler kommen, die von der Streichung betroffen wären.

Noch mehr Diskriminierungen

Diskriminierende Maßnahmen rund um Wahlen nehmen in den USA neuerdings zu. So hob der Oberste Gerichtshof im Jahr 2013 einen Teil des Voting Rights Acts von 1965 auf.
Greg Palast meint, dass Crosscheck nur einer von vielen Tricks ist, den Ausgang von Wahlen zu manipulieren, ein Trick, der aber vermutlich den Wahlausgang 2016 am stärksten beeinflusst hat. Bis zu einer Million Wählerregistrierungen, so seine Schätzung, könnten Crosscheck zum Opfer gefallen sein. 
Die Sendung nennt weitere Anhaltspunkte für die Diskriminierung von Minderheiten, darunter auch Asiatischstämmige, bei Wahlen: Dazu gehört der Wahltag, der mit dem Dienstag immer auf einen Arbeitstag fällt oder fehlende Stimmzettel in Fremdsprachen. Eingegangen wird auch auf die beabsichtigten Nachzählungen in drei Bundesstaaten, wobei von fehleranfälligen Wahlmaschinen und sogar den Wahlzetteln selbst als mögliche Fehlerquelle die Rede ist.
Bei aller Komplexität des Gegenstands – „Greg Palast bleibt dabei: Millionen von Stimmen seien nicht gezählt worden – entweder weil die Wähler nicht registriert sind, wegen Problemen bei der Auszählung oder weil Fehler bei der Stimmabgabe passieren. Und: Es gebe dabei eine starke Tendenz zum Nachteil von Minderheiten“ (Thomas Reintjes).

In den US-amerikanischen Leitmedien wie New York Times oder Washington Post ist von Greg Palasts Erkenntnissen nichts zu vernehmen. Warum nicht? Der Reporter-Detektiv dazu: „Wir berichten nicht darüber, weil es beschämend ist. Amerikaner müssen ihr Image pflegen, dass sie das perfekte System haben. Niemand in Amerika will hören, dass wir hier nicht eine wunderbare Demokratie haben.“

(Zitate in diesem Text nach dem Sendungsmanuskript.)

Die defekte Demokratie

Wie Wahlreformen den Sieg von Donald Trump begünstigt haben

Von Thomas Reintjes
Regie: Wolfgang Schiller
Deutschlandfunk 2017

Deutschlandfunk, Reihe: Dossier
20. Januar 2017, 19.15 Uhr, 45 min.