Der katalanische Musiker und Forscher Jordi Savall, der seit Jahrzehnten zu den führenden Persönlichkeiten im Bereich der historischen Aufführungspraxis Alter Musik gehört, wurde anlässlich seines Gastspiels beim diesjährigen Festival „Styriarte“ in Graz zu einem Gespräch eingeladen. Es begann mit einigen Bemerkungen zu seinem musikalischen Werdegang.
Savall, der ursprünglich Cellist war, machte seine ersten Erfahrungen mit Alter Musik, als er in Paris mit dem Orchester der Jeunesses Musicales spielte. Bei dieser Gelegenheit besuchte er die Bibliothèque Nationale und studierte Werke für Gambe unter anderem von Marin Marais und Sainte Colombe, Komponisten und Virtuosen des Barock. Jordi Savall entdeckte damals „so schöne Musik“ und konnte nicht glauben, dass diese nicht bekannt war und kaum gespielt wurde. So entschied er sich für die Gambe.
Mysteriöse Montserrat
In einem Gespräch mit Jordi Savall ist es wohl unvermeidlich, von seiner 2011 verstorbenen langjährigen künstlerischen und privaten Partnerin Montserrat Figueras zu reden, und so fragt auch der Interviewer Johannes Kaup, wer diese für Jordi Savall war.
„Montserrat ist eine ganz besondere Persönlichkeit“, antwortet der Musiker, „sie war eigentlich eine sehr mysteriöse Frau. Manchmal auch nach so vielen Jahren Zusammenleben habe ich mich gefragt, von wo kommt diese Frau.“ Sie habe ihm manchmal das Gefühl gegeben, wie eine alte Sybille aus Griechenland zu sein. „Sie hatte immer eine ganz besondere Aura, eine ganz besondere Sensibilität und eine ganz persönliche Intuition, wie man eine ganz alte Melodie singen kann. Sie hat natürlich auch geforscht, aber sie hat immer den richtigen Klang und die richtige Deklamation gefunden, um eine alte Melodie zu singen. Und das hat sie nirgendwo gelernt. Deswegen hatte ich oft das Gefühl, sie ist wie eine Reinkarnation von einer ganz alten Persönlichkeit.“ Der Priester und Religionsphilosoph Raimon Panikkar (1918-2010), so Jordi Savall, antwortete einmal auf die Frage eines Interviewers, er glaube, ungefähr 2500 Jahre alt zu sein. „Dieses Gefühl hatte ich auch mit Montserrat.“
Das Gespräch dreht sich nun um die spirituelle Dimension von Kunst, anschließend fragt Johannes Kaup den Musiker und Ensembleleiter, wie der Tod seiner Frau ihn persönlich verändert habe. Er bedeutete das Ende einer Epoche, so die Antwort, das Ende „von einem Zusammenleben, das sehr intensiv, sehr reich und sehr besonders war.“ Es wurde klar, dass nun viele Partituren nicht mehr gespielt würden. Im ersten Schmerz stand Jordi Savall sein Sohn Ferran zur Seite. Außerdem habe sehr geholfen, dass er wieder zur Gambe gegriffen habe. „Ich habe gelernt nach dem Tod von Montserrat zu akzeptieren, dass wir vergänglich sind, dass wir nicht immer da sind, und das ist etwas, das man uns nicht lehrt, niemand ist darauf vorbereitet. An einem bestimmten Moment konnte ich diese Verletzung stoppen und ich habe angefangen zu denken, das ist nicht eine Verletzung, das ist ein Glück, dass ich so viele Jahre mit dieser Person mit Liebe und mit Musik leben konnte. Diese Traurigkeit hat sich transformiert in eine gewisse Freude, weil man realisiert, sie ist nicht mehr da, aber alle Erfahrungen, alle Erinnerungen, die sind da, und die werden immer da sein. Man kann die Erinnerung behalten, aber man kann nicht ein Haus haben wie ein Museum, wie ein Mausoleum.“ Man müsse für ein Minimum an Lebensqualität fähig sein zu einem neuen Start.
Die Tiger verschwinden
Johannes Kaup kommt nun auf Jordi Savalls regelmäßig praktizierten interkulturellen und interreligiösen Dialog mit Musikern anderer Kontinente zu sprechen. Kaup sieht dafür ein frühes Vorbild in dem mittelalterlichen mallorquinischen Religionsphilosophen Ramon Llull.
Nunmehr auf das immer noch enorme Arbeitspensum des bald 75-Jährigen – mit immer noch weit über 100 Konzerten pro Jahr – eingehend, fragt der Interviewer: „Woher holen Sie sich Ihre Kraft im Sturm des Lebens?“
„Erstens, ich mache, was ich liebe“. Die Musik sei aber auch eine Disziplin: Man müsse gesund sein, eine Balance, eine innere Ruhe finden. Das habe er über eine lange Zeit dank Entspannungsübungen und der Entdeckung von Zen-Meditation gelernt. Auch habe er gelernt, seine Emotionen, seine Nervosität vor dem Konzert zu kontrollieren. Eine „Zen-Geschichte“ habe ihm geholfen, wie man das löst: „Ein Mensch spaziert in einem Wald, und dann kommt ein Tiger.“ Der Mensch fängt an zu rennen, um dem Tiger zu entkommen. Er gelangt am Ende des Waldes an eine Schlucht, die er hinabklettern will. Schon glaubt er sich gerettet, da aber sieht er, dass unten noch ein anderer Tiger auf ihn wartet. Was nun? An der Stelle, wo er sich befindet, entdeckt er wilde Erdbeeren, die er beginnt zu essen, und der Mensch denkt, wie gut sie doch seien und genießt die Früchte.
Die Lehre von dieser Geschichte für Jordi Savall: Wenn man seine wilden Erdbeeren findet, verschwinden die Tiger, von denen wir glauben, dass sie draußen sind, genauso die inneren. Im Konzert sei er nervös wie jeder andere. Wenn er aber den ersten Ton spielt, „dann genieße ich meine Erdbeeren und dann vergesse ich meine Tiger.“ Man müsse den Moment leben, als könne es keinen schöneren geben. Wenn wir schlafen gehen, wissen wir nicht, ob wir den nächsten Tag wieder wach werden. Wenn er wach sei am Morgen, könne er sich über einen neuen Tag freuen. Gandhi habe gesagt, man muss jeden Tag leben, als wäre es sein letzter Tag, aber studieren, als würde man noch 1000 Jahre leben.