Zum 60. Todestag von Thomas Mann am 12. August wiederholte das Nordwestradio eine vor zehn Jahren produzierte Feature-Collage – mit interessanten, zum Teil kuriosen O-Ton-Raritäten unter anderem von Thomas Mann selbst sowie von Tochter Erika und Enkel Frido.
Geprägt ist dieses Jahr 1954-55 vom Erscheinen des letzten Romans „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“, von den Feierlichkeiten zum 150. Todestag Friedrich Schillers, aus dessen Anlass Thomas Mann im geteilten Deutschland seine vielbeachtete Schiller-Rede hielt, und von der Feier des 80. Geburtstags des Autors kurz vor seinem Tod. Tagebuchaufzeichnungen Thomas Manns aus seinem letzten Lebensjahr bilden für das Feature quasi ein Gerüst.
Der „Felix Krull“, dieser in den Worten des Autors wie im Feature zu hören „humoristisch-parodistische Bildungsroman“, wurde nach seinem Erscheinen im Jahr 1954 für die Familie zu einem unerwarteten Erfolg: zum, wie es auch Tochter Erika schildert, sich am schnellsten verkaufenden der Bücher Thomas Manns. Ein interessantes Detail verrät Erika mit der festen Tageseinteilung ihres Vaters in seinem Schaffen: Nach dem Frühstück habe er jeden Tag drei Stunden „am laufenden Hauptwerk“ geschrieben, Ergebnis waren zwei Seiten Manuskript. Und das, wie sie betont, jeden Tag.
Schiller-Rede
Die letzte große Prosaarbeit des Schriftstellers war der Essay „Versuch über Schiller“, aus dem Erika die Schiller-Rede ihres Vaters zum 150. Todestag des deutschen Klassikers extrahierte. Im Laufe seines Besuchs mehrerer deutscher Städte im Mai 1955 las Thomas Mann diese Rede in den Schiller-Städten Stuttgart und Weimar, beide Male mit großer Resonanz. In der thüringischen Klassiker-Stadt wurde Thomas Mann – wie zuvor schon in Eisenach – von DDR-Kulturminister Johannes R. Becher begrüßt. Interessant ist dabei – dies ist den O-Tönen zu entnehmen –, wie bewusst und geradezu pathetisch damals im jungen sozialistischen Staat mit den Begriffen deutsch und Deutschland umgegangen wurde: „Wir begrüßen Sie als den deutschen Dichter unseres Jahrhunderts“, wendet sich der Minister an seinen Gast. „… jenes schöne und wahrhafte Deutschland, unser Deutschland ist es, das in Ihnen ganz da ist …“
Das Wiedersehen mit seiner Vaterstadt Lübeck am 20. Mai 1955 war dann für den betagten Schriftsteller kein unbelastetes: Bereits der Bürgermeister spricht in seiner Begrüßung von „bitteren Schmähungen“, die Thomas Mann ertragen musste, dieser selbst von der „Mißbilligung meiner Existenz, die hier zu finden war …“ Der Besuch der Hansestadt war allerdings auch Anlass für die Verleihung der Ehrenbürgerwürde an den Dichter, über die dieser sich hocherfreut zeigte.
80. Geburtstag
Der 80. Geburtstag Thomas Manns schließlich war für Zürich, der Stadt des letzten Domizils des Schriftstellers, ein Grund für aufwändige Feierlichkeiten, von denen ein Rundfunkdokument und als Zeitzeugin die damals beteiligte, 2012 verstorbene Schauspielerin Maria Becker erzählen. Kein Geringerer als Bruno Walter dirigierte Mozarts „Kleine Nachtmusik“, dazu lasen prominente Schauspieler wie Therese Giese, Gustav Knuth und eben Maria Becker aus des Dichters Werk. Thomas Mann selber las aus „Felix Krull“, und zwar „fantastisch“, so Maria Becker, die von der „wunderbaren Sprache, die er sprach“ schwärmt und versichert, niemand habe Thomas Mann so lesen können, wie er selber.
Im privaten Rahmen hatte der damals noch nicht 15-jährige Enkel Frido, wie er für das Feature erzählt, zum 80. des Großvaters den ersten Satz einer von ihm komponierten Sonate aufgeführt, auf die sich der „Opapa“ sehr erfreut in einer von Frido vorgelesenen Postkarte aus Den Haag, einer Station von Thomas Manns Holland-Reise, bezog.
Tod und Trauerfeier
Dem Tagebuch ist zu entnehmen, dass die gesundheitlichen Probleme des 80-Jährigen zunehmen. Als eine Thrombose diagnostiziert wird, wird Thomas Mann in das Kantons-Spital in Zürich eingeliefert, von wo die letzten Tagebuch-Eintragungen stammen.
Frido erzählt, wie ein Telegramm die Todesnachricht brachte. In Kilchberg bei Zürich, wo der Schriftsteller sein letztes Wohnhaus bezogen hatte, fand eine Trauerfeier statt. Gespielt wurde dabei in Fridos Worten des Großvaters „Lieblingssatz“, der „lydische Satz“ [„Heiliger Dankgesang eines Genesenen…“, molto adagio] aus dem Quartett op. 132 von Beethoven. Musik war für Thomas Mann demnach nicht nur Richard Wagner (vom Lohengrin-Vorspiel darf er im Feature allerdings auch schwärmen), sondern beispielsweise neben Beethoven auch … Noël Coward. An anderer Stelle der Sendung erzählt Tochter Erika, wie die „Mad Dogs and Englishmen“, die der englische Schauspieler, Dramatiker und Komponist auch sang, „während dieses schlimmsten Kriegsjahres 1940“ zur „Trostplatte“ ihres Vaters wurde: als „charakteristisch“ für die „humoristisch geprägte Art des Durchhaltens“ der Engländer.