Freihandelsabkommen: Von TTIP haben alle schon einmal gehört, zu CETA oder TPP fällt Vielen auch noch etwas ein. Warum aber werden EPAs, Partnerschaftsabkommen zwischen der EU und den afrikanischen Staaten, selbst in alternativen Medien kaum thematisiert? Ein Feature wirft einen genaueren Blick.
Im Herbst 2015 geht die „Stopp-EPA-Tour“ mit Informationsveranstaltungen durch Deutschland. Eine ihrer Stationen ist Aachen. Eingeladen in die Sankt Nikolaus Kirche haben Organisationen wie Attac, Brot für die Welt oder das Forum für Frieden und Entwicklung. EPAs steht für Economic Partnership Agreements. Abkommen dieser Art will die EU mit ihren ehemaligen Kolonien in Asien, dem Pazifikraum und auf dem afrikanischen Kontinent [AKP-Staaten] abschließen. Referenten aus Westafrika sprechen in Aachen über den globalen Handel und dessen Folgen für ihre Heimatländer.
Der aus der Demokratischen Republik Kongo stammende Boniface Mabanza, der in Münster promoviert hat, betont in seinem Vortrag, dass die von den reichen Ländern so hoch gehaltene „Entwicklungshilfe“ tatsächlich mit Zerstörung von Strukturen einhergeht: mit Leerfischen der Meere etwa und Überschwemmung der Märkte. Was Afrika alles brauche, werde von Europa definiert. Dass dazu die Integration in den Weltmarkt gehört, sei für die Menschen Afrikas noch lange nicht ausgemacht.
Der Ökonom Kwabena Otoo aus Ghana, der an der Universität Kassel promoviert, ist auch bei der Tour gegen EPAs dabei. Er erläutert anhand eines Plakats, das zum Spenden für hungernde Menschen in Afrika auffordert, wo das wirkliche Problem liege: „Es geht darum, die Ungleichheit in Handelsverträgen zu thematisieren. Es geht darum, die Massenimporte oder -exporte nach Afrika zu thematisieren“, die den Menschen in Afrika die Jobs genommen hätten. „Es geht darum, den Afrikanern das Fischen zu ermöglichen und nicht ihnen einen Fisch zu schenken.“ Beispielsweise wurden in Ghana einmal viele Tomaten geerntet. Dann wurde der ghanaische Markt mit billigen europäischen Tomaten aus subventionierter Landwirtschaft überschwemmt. Als Folge verloren die Ghanaer ihre Arbeit und emigrierten nach Europa. In Süd-Italien etwa würden viele Ghanaer Tomaten pflücken. „Und diese Tomaten kommen dann zurück nach Ghana und überschwemmen und zerstören dort den Markt.“
Ein Beispiel: Ghana
Ghana wurde 1957 von Großbritannien unabhängig. Die Ökonomie des Landes blieb geprägt von den kolonialen Strukturen: Große Branchen wie Bergbau und Handel wurden von fremdem Kapital beherrscht, Investoren wurden Steuernachlässe gewährt, Gewinne gingen außer Landes. Ghanas Exporte wie die der anderen ehemaligen Kolonien beschränkten sich auf landwirtschaftliche Produkte wie Kakao, Tomaten oder Reis, mit denen sie untereinander konkurrierten. Dazu kam für Ghana, wie Kwabena Otoo erläutert, dass das Land aufgrund der Handelsvereinbarungen seine Rohstoffe nicht weiterverarbeiten durfte: „Die Handelsbedingungen […] für Gold, Kakao, Diamanten, Nutzholz wurden immer verschoben zum Vorteil derjenigen am anderen Ende der Wertschöpfungskette und das führt zu einer systematischen Verarmung der Rohstoffproduzenten.“ Ein Beispiel dafür ist der weltgrößte Lebensmittelkonzern, die Schweizer Firma Nestlé. Sie verfügt in Afrika über 30 Standorte und produziert zum Beispiel Milchprodukte und Schokolade aus afrikanischen Produkten für den europäischen und afrikanischen Markt. Wen wundert’s dass sich Nestlé für den Freihandel zwischen Europa und Afrika engagiert.
Fallende Kakaopreise, Dürre, Missernten sorgten dafür, dass Ghana 25 Jahre nach seiner Unabhängigkeit pleite war und 1983 den IWF um Kredite ersuchte. Der verordnete wie stets in solchen Fällen ein Strukturanpassungsprogramm. Die Autorin dieses Features Nora Bauer: „Stärkung der Privatwirtschaft, Reduzierung aller staatlichen Leistungen, Privatisierung der Energie- und Wasserversorgung und anderer ehemals verstaatlichter Betriebe, […] Öffnung der Märkte durch Herabsenken der Zölle, Erleichterungen von ausländischen Direktinvestitionen, Ausbau des Exports bei gleichzeitiger Vernachlässigung der Produktion für den heimischen Markt. Dadurch sollten wirtschaftliche Stabilisierung und Wachstum erreicht werden. […] Ghana wurde zu einem Versuchslabor des IWF.“ Als ab 1987 die Kredite an den IWF zurückgezahlt werden mussten, verschärften sich die Strukturen und Abhängigkeiten. Ein hoher Teil der Einnahmen des Landes wurde aus dem Kakaoexport erzielt, billige Importe nicht nur aus Europa gelangten auf den heimischen Markt: Nahrungsmittel, gegen die sich die ghanaischen Produzenten nicht behaupten konnten – Schutzzölle waren seitens des IWF verboten. Ein Beispiel verdeutlicht die Kräfteverhältnisse: In den ersten zehn Jahren des neuen Jahrhunderts sank der Anteil an einheimisch produziertem Hühnerfleisch in Ghana von 80 auf fünf Prozent. Dass die Zölle nicht wieder angehoben werden, ist eines der Ziele der EPAs.
Zollregelungen
Nora Bauer: „Beide Verhandlungspartner verpflichten sich mit Inkrafttreten des Abkommens, die Zölle für den Handel untereinander abzuschaffen.“ Die Europäer täten dies sofort vollständig. Für die afrikanische Seite sollen vier Kategorien gelten, die besagen, in welchem Zeitraum ein bestimmtes Handelsgut zollfrei gehandelt werden muss – aus Afrika nach Europa oder umgekehrt. Entscheidend dabei ist, dass die für Europa wichtigsten Produkte sofort zollfrei ein- oder ausgeführt werden können: Rohstoffe wie Erdöl, Kakao, Seltene Erden importiert, und Kraftwerke, Düngemittel oder Pestizide nach Afrika exportiert. Für Boniface Mabanza ist daher ausgemacht, dass es um „ganz ganz billige“ Rohstoffe für europäische Unternehmen geht. Und Sylvester Bagooro aus Ghana ist überzeugt, dass durch EPAs Importe aus Europa erleichtert werden und die afrikanische Produktion sich noch stärkerer Konkurrenz stellen muss.
Meistbegünstigungsklausel
Strittig im Abkommen ist die Meistbegünstigungsklausel. Sie besagt, dass ein afrikanischer Staat nicht ohne Konsultation mit der EU ein anderes Handelsabkommen mit einem Land etwa der BRICS-Staaten vereinbaren darf. Sylvester Bagooro sieht darin ein Mittel der EU, um konkurrierende Staaten im Kampf um afrikanische Rohstoffe auszustechen. Remco Vahl, Chefunterhändler für die EPAs seitens der EU, der für das Feature befragt wurde, hält die Meistbegünstigungsklausel für legitim: Wie stünde Europa da, wenn es die afrikanischen Handelspartner in den Zollregelungen begünstige, ein Partnerland dann aber für den Handel mit einem bestimmten Produkt etwa China Zollfreiheit gewähre? Der Wettbewerb zwischen den OECD-Ländern und dem BRICS-Staatenbund, zu dem China gehört, wird von Stefan Liebing, dem Vorsitzenden des Afrikavereins der Deutschen Wirtschaft, im Feature angesprochen. Der Handel der BRICS- mit den afrikanischen Staaten ist seit 2008 doppelt so stark gewachsen wie der zwischen EU und Afrika.
Proteste gegen die Meistbegünstigungsklausel wurden von der Afrikanischen Union und sogar der UNO laut, von der EU aber zurückgewiesen, die ihre Position durchsetzte. Die Meistbegünstigungsklausel, so sieht es Sylvester Bagooro, ist eine Konsequenz der „Rohstoffinitiative“ der EU-Kommission, die in den Nuller Jahren den Rohstoffbedarf der europäischen Industrie feststellte und nun, um sich bestimmte essenzielle Rohstoffe gegenüber außereuropäischen Konkurrenten wie China, Indien oder Brasilien zu sichern, die Handelspolitik einsetzt. Es sind die Produkte, die zu denen gehören, für die in den EPAs von vornherein zollfreier Handel gelten soll und die insbesondere in Afrika, der Karibik und dem Pazifischen Raum vorkommen: Gold, Zinn, Eisen, Uran, Diamanten und andere.
Eigentlich ist die Abschaffung sämtlicher Zölle ein Ziel der 1995 gegründeten Welthandelsorganisation – im Sinne eines weltweiten Freihandels. Die EU aber ist nicht bereit, auf Agrarsubventionen zu verzichten, so Franzisco Mari, Afrika-Spezialist bei „Brot für die Welt“, in diesem Feature, da ihr Markt auf Überschussproduktion und Export ausgerichtet sei.
Europäer schützen ihre Interessen
„Ursprungsregeln“, womit der wichtige Punkt der Verarbeitung der Rohstoffe angesprochen ist, sowie der Ausbau der Infrastruktur sind weitere Themen in diesem Feature. Die Autorin fasst zusammen: „Zollbestimmungen, die den Export europäischer Atom- oder Kohlekraftwerke begünstigen, die Meistbegünstigungsklausel und die Normierungen in den Zolllisten schützen europäische Interessen vor einer asiatischen genauso wie vor einer zukünftigen afrikanischen Konkurrenz. Was als deregulierter Markt gedacht war, droht zu einem überaus regulierten Markt zu werden.“
Dienstleistungen sollen erst später in die Verhandlungen aufgenommen werden.
Für Boniface Mabanza stellt die geplante Entwicklungsbank der BRICS-Staaten, deren Gründung 2015 beschlossen wurde, einen Hoffnungsschimmer dar. Die Strukturanpassungsprogramme des IWF hätten für Afrika nur Nachteile gebracht. Dasselbe drohe mit den EPAs.
2014 haben die Mitglieder von drei afrikanischen Wirtschaftsgemeinschaften ein Wirtschaftsabkommen mit der EU unterzeichnet. Dessen Ratifizierung durch die nationalen Parlamente steht aus.
(Zitate in diesem Text nach dem Manuskript.)