Dass Colorado als erster US-Bundesstaat zu Beginn des letzten Jahres den Kauf und den Konsum von Cannabis legalisierte, erregte weit über die Vereinigten Staaten hinaus Aufsehen. Ein Besuch in Colorados Hauptstadt Denver zeigt, wie sich die Aufhebung des Verbots seitdem ausgewirkt hat.
Die Cannabis-Industrie in Colorado ist der in den USA zurzeit am schnellsten wachsende Markt. Bekannt wurde der Fall der fünfjährigen, schwer epileptischen Charlotte Figi. Ihre Mutter Paige erzählt der Autorin Giusi Valentini, dass Charlotte, als sie bereits schwer krank und dem Tod geweiht war, mit Cannabis-Öl behandelt wurde. Ihr Zustand verbesserte sich daraufhin rasch, und das Kind habe seitdem nur noch zwei Anfälle pro Monat. Seitdem heißt das Öl nach dem Mädchen „Charlotte’s Web“. Cannabis-Öl enthält einen hohen Anteil an Cannabidiol (CBD), das gegen Krankheiten wie Krebs und Multiple Sklerose wirken soll. Diese Wirksamkeit ist allerdings nicht wissenschaftlich nachgewiesen. Die psychoaktive Substanz, die Rauschzustände bewirkt, heißt THC. Charlotte’s Web enthält davon nur wenig, das Öl kann als Nahrungszusatz gelten.
Der Architekt John, ein weiterer Gesprächspartner der Autorin, hat in Dallas, Texas, wo, wie noch in insgesamt 23 US-Bundesstaaten, Cannabis nicht legal ist (in einigen ist es nur für medizinische Zwecke zugelassen), seinen Darmkrebs mit Cannabis-Öl behandelt. Mit der Chemotherapie hörte er auf, ihm wurden nur noch zwei bis sechs Monate Lebenszeit gegeben – und dank der Behandlung mit dem Öl wurde der Krebs kleiner. Der 53-Jährige ist erfolgreich in seinem Beruf und arbeitet jeden Tag.
Cannabis-Fest
Am 20. April fand in Denver das Cannabis-Fest mit 40.000 Teilnehmern statt. Bob, ein 73-jähriger Vietnam-Veteran aus North-Carolina, sagt, dass das „Gras“ ihm und anderen Veteranen gegen die Posttraumatischen Belastungsstörungen sehr geholfen hat: Er konsumiert es seit 40 Jahren. In seiner Familie seien viele an Krebs gestorben, er ist überzeugt, dass ihn das Cannabis am Leben hält. Bob wartet auf die Legalisierung von Hanf in seinem Bundesstaat, dann will er ins Geschäft einsteigen.
Apropos Geschäft: Ein wachsender Markt zieht Investment-Kapital an, und so hat zum Beispiel Chris, ein Ex-Investor in New York den Cannabis-Markt und dessen großes wirtschaftliches Potenzial für sich entdeckt. Er will Cannabis-Zigaretten auf den Markt bringen: „It’s very exciting“. Allein in Denver entstanden 15.000 neue Jobs seit der Legalisierung vor anderthalb Jahren.
Mit einem Problem allerdings werden diejenigen konfrontiert, die mit dem Stoff Geld verdienen wollen: Wer Cannabis verkauft, bekommt kein Bank-Konto, da es auf nationaler Ebene laut US-Gesetz als Droge gilt. Alle Cannabis-Geschäfte werden in bar abgewickelt. So kann ein Laden mit 200 bis 300 täglichen Kunden nur Bargeld nehmen und hat daher einen Tresor am Ort, wie die Ladenbetreiberin erzählt. Bar entrichten muss sie auch die monatliche Cannabis-Steuer von insgesamt 36 Prozent. Das Finanzamt Colorado hat 2014 63 Millionen US-Dollar Steuern durch Cannabis eingenommen.
Der US-Bundesstaat hat Cannabis nach einer Bürger-Abstimmung legalisiert. Damit entfallen auch Steuergelder für Strafverfolgung, die Steuereinnahmen aus dem Verkauf können in Bildungsprojekte, den öffentlichen Dienst oder Jugendschutz fließen. Die Kriminalitätsrate ist schon im ersten Jahr gesunken, die Zahl der Konsumenten stieg, anders als manche befürchteten, nur um drei Prozent. Der Journalist Bruce stimmte für die Legalisierung, bekam dann Bedenken, sieht aber heute keinen leichteren Zugang zu Marihuana für seine Kinder. Er unterstreicht, dass der Konsum das Gehirn von Jugendlichen unter 17 schädigen kann. Über die Gefahr, die der Konsum mit sich bringen kann, müsse breit informiert werden.
Und Bruce weist auch auf eine gesellschaftliche Komponente hin: Immer noch 650.000 Cannabis-Konsumenten werden in den USA festgenommen. Die Gegner der Legalisierung finden sich gerade im Justizsystem, wie er herausbekommen hat: Ihr Job ist in Gefahr, wenn Marihuana legalisiert wird. Im Land, das die größte Zahl an Menschen einsperrt. In den USA, sagt Bruce, sei das Gefängniswesen zu einer riesigen Industrie angewachsen.
Hanf-Produkte
In Colorado hat Marihuana in Bezug auf Reinheit und Pestizid-Anteile die weltweit höchste Qualität. Die Liste verkaufter Produkte wird ständig länger: neben losem Gras sind das zum Beispiel Schokolade, Kekse, Bonbons, Honig oder Pflaster. Die vielen verschiedenen Sorten sind psychoaktiver bzw. energetisch (Cannabis sativa) oder besser als Schmerzmittel (Cannabis indica, indischer Hanf). Ein Kunde sagt, er möchte essbares Cannabis als Ersatz für ein Schlafmittel; eine Kundin will Body-Lotion mit Cannabis-Extrakt, ein anderer hochenergetisches Cannabis für mehr Kraft. Cannabis ist gut für Krebspatienten, weiß Beraterin Elizabeth: Es bringe zum Beispiel den Appetit zurück.
Über Cannabis weiß man immer noch zu wenig. Marihuana soll für die Gesundheit weniger gefährlich sein als Alkohol und Tabak. Die Heilpflanze enthält über 400 Stoffe, von denen die meisten noch nicht erforscht sind. Auch bleibt der Verdacht negativer Folgen. Eine Mehrheit von 58 Prozent ist in den USA für die Legalisierung. Mehr als die Hälfte der US-Bundesstaaten hat Hanf für medizinische Zwecke zugelassen.