Bayern 2, 14. Januar 2017

Bohème statt Bürgerlichkeit

Über das Verhältnis von Klaus Mann zu seinem Onkel Heinrich

Dass der ebenfalls Schriftsteller gewordene, 1906 geborene Klaus, Sohn von Literatur-Nobelpreisträger Thomas Mann, eine größere Nähe zu seinem Schriftsteller-Onkel Heinrich als zu seinem Vater empfunden hat, verwundert bei näherer Betrachtung nicht. Uwe Naumann, spezialisiert auf Klaus Mann und dessen Geschwister, beleuchtet dieses Verhältnis in einem Radiofeature.

Zum Onkel Heinrich haben Thomas Manns Kinder in ihren jungen Jahren, geschuldet dem „Bruderzwist“ der beiden Erfolgsautoren, vermutlich nicht viel Kontakt gehabt. „Ich habe Heinrich Manns Bücher schwärmerisch geliebt, ehe ich ihn persönlich kannte“, zitiert diese Sendung einen Beitrag Klaus Manns im Berliner Tageblatt aus dem Jahr 1931 zum 60. Geburtstag des Onkels. Als er ihn kannte, sei er „schon durch Verehrung eingeschüchtert“ gewesen. Heinrich Mann habe eine „besondere Art“, spreche immer in „gedämpftem Ton“, zeige Zurückhaltung, aber auch „konzentrierte, unheimlich gespannte Sachlichkeit. Er lässt wirklich keinen an sich heran“. 

Heinrich und Klaus im Gegensatz zu Thomas Mann

Eine engere geistige Beziehung entstand zwischen Klaus und Heinrich Mann ab Mitte der 1920er Jahre. Als Gast im Haus von Heinrich und dessen Frau Maria („Mimi“) lernte der Neffe Pamela Wedekind kennen, mit der er einige Jahre verlobt war. Mit Pamelas Vater, dem 1918 verstorbenen Frank Wedekind, war Heinrich Mann gut befreundet. Er teilte des Schriftsteller-Kollegen antibürgerliche Neigung zur Bohème. Heinrich, der auch Bordelle besuchte, stand im Gegensatz zu seinem die gutbürgerliche Existenz wählenden Bruder Thomas, und das zog Klaus Mann an. Auch Klaus war anders als der Autor der „Buddenbrooks“, lebte einen Gegenentwurf zum Leben des Vaters: eine ruhelose Existenz von Ort zu Ort nach Verlassen des Münchner Elternhauses. Aus seiner homosexuellen Neigung machte Klaus, anders als der Vater, kein Geheimnis, weder im Werk noch im Alltag. Aus seiner frühen, 1932 erschienenen Autobiografie „Kind dieser Zeit“ zitiert dieses Feature, wie Klaus Mann die Unterschiede zwischen sich selbst und dem Vater benennt: „Das Extravagante, exzentrische Anrüchige gegen das maßvoll Gehaltene. Das irrational Trunkene gegen das von der Vernunft Gebändigte und Beherrschte.“ Auch politisch, indem er einer der intellektuellen Fürsprecher der Weimarer Republik war, wurde sein Onkel Heinrich für Klaus zu einem wichtigen Vorbild.

1933: Flucht aus Deutschland – Exil in Europa

Bald nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler, am 21. Februar 1933, musste Heinrich Mann, um drohender Verhaftung zu entgehen, Deutschland fluchtartig verlassen. Keine vier Wochen später reiste Klaus Mann aus München ab. Wie Heinrich Mann im April seinem Bruder Thomas aus Nizza, dem von ihm gewählten Exil, schrieb, wurde in Berlin sein Bankkonto beschlagnahmt, in München seine Wohnung „sequestriert“. 
Uwe Naumann: „Heinrich Mann wurde in den folgenden Jahren der wichtigste Sprecher und Repräsentant der deutschen Hitler-Gegner.“ Sein Neffe Klaus entwickelte sich seinerseits im Exil zu einem vielbeachteten Schriftsteller. Heinrich Mann und Klaus Mann rückten politisch und publizistisch noch näher zusammen. Klaus wurde Herausgeber der Zeitschrift „Die Sammlung“, die ab September 1933 in Amsterdam im Querido-Verlag erschien, wo in diesem und in den folgenden Jahren zahlreiche Werke von Exilanten, auch die Bücher von Klaus und von Heinrich Mann, erschienen. „Die Sammlung“ sollte die Kräfte und Strömungen der Emigranten bündeln. Heinrich schrieb für das erste Heft den Beitrag „Sittliche Erziehung durch deutsche Erhebung,“ eine Abrechnung mit dem in Deutschland installierten „Schurkenregime“ (Naumann).
Klaus Mann klagte 1934 in einem Brief, die deutschen oppositionellen Schriftsteller ließen sich nicht für seine Zeitschrift zusammenbringen. Manche prominente Autoren – zum Beispiel Hermann Hesse – hatten ihre Mitarbeit von vornherein abgelehnt. Selbst der Vater Thomas Mann zog einen zugesagten Beitrag nach Erscheinen des ersten Heftes zurück. Er wurde, wie auch andere Kollegen, von seinem Verleger Bermann Fischer unter Druck gesetzt, eine Mitarbeit an der „Sammlung“ könne für das Erscheinen von Thomas Manns Büchern in Deutschland „verhängnisvolle Folgen“ haben. Thomas, obwohl bereits in der Schweiz, zögerte ein öffentliches Bekenntnis zur Emigration noch hinaus. Sohn Klaus hält dagegen einen „kämpferischen Ton gegen Hitler-Deutschland für unabdingbar“ (Naumann).

Widergespiegelt durch einen regen Briefwechsel, nahm in den ersten Jahren des Exils die – auch literarische – Nähe zwischen Heinrich Mann und Klaus Mann zu. Wies bereits Klaus’ Roman „Treffpunkt im Unendlichen“ von 1932 Parallelen zu Heinrichs „Die Jagd nach Liebe“ von 1903 auf, so wurden solche im bekanntesten Buch des Neffen augenscheinlich. Als dieser 1935-36 am „Mephisto“ schrieb, hatte er (Tagebuch-Eintrag) „angefangen, den ,Untertan‘ wieder zu lesen. Die amüsanteste und aktuellste Lektüre.“ In einem Brief an seine Mutter vom Februar 1936 bezeichnete Klaus den von Heinrich Mann 1914 vollendeten Roman als „prophetisches Buch“. Es komme „einfach alles schon vor, bis zum Sterilisierungskomplex“. Die Hauptfigur des „Untertan“, Diederich Heßling, sei, heißt es in dieser Sendung, „die vorweggenommene Beschreibung eines skrupellosen Nazis“. Im „Mephisto“ beschreibt Klaus Mann den Aufstieg des Schauspielers Hendrik Höfgen zwischen 1926 und 1936. Dieser wählt den „Teufelspakt mit den Mächtigen“ (Naumann), er ist ein sich nach den Erfordernissen Wandelnder und Anpassender. 

Von Europa in die USA

In den Jahren des europäischen Exils wurden Neffe und Onkel als Repräsentanten des anderen Deutschland respektiert und gefordert. Das änderte sich nach der Annexion Österreichs und mit Ausbruch des Kriegs. Klaus hatte schon 1938 die USA als neues Emigrationsland gewählt. Sein inzwischen 69-jähriger Onkel Heinrich folgte erst zwei Jahre später. Er musste, um das rettende Schiff in Lissabon zu erreichen, mit Ehefrau Nelly und weiteren prominenten Begleitern – seinem Neffen Golo, Franz Werfel und dessen Ehefrau Alma – zu Fuß die Pyrenäen überqueren. Am 13. Oktober 1940 erreichte er New York. 
Heinrich Mann, der in Los Angeles versuchte, im Filmgeschäft Fuß zu fassen, hatte es im fremden Land schwerer als sein Neffe. Er sprach kaum Englisch, der Zugang zum „american way of life“ blieb ihm verwehrt. Klaus wurde 1943 amerikanischer Staatsbürger und fand sich gut im neuen Land zurecht. Dagegen schrieb Heinrich 1947 in einem Brief an den Schriftsteller Franz Carl Weiskopf, im neuen Land habe sich für ihn alles zum Schlechteren gewendet, die Jahre in Frankreich dagegen waren eine glückliche Zeit. 

Klaus rief in New York mit „Decision“ eine neue Exilantenzeitschrift ins Leben, Heinrich trug einen Text fürs erste Heft bei. „Decision“ war aber schon nach einem Jahr finanziell am Ende. Bei Klaus Mann nahmen Depressionen und Todessehnsucht zu, er schrieb seine zweite Autobiografie „The Turning Point“, die 1942 erschien, „eine der großen Epochenbilanzen des 20. Jahrhunderts“ (Uwe Naumann). Heinrich an Klaus Mann in einem seiner umfangreichsten Briefe im Oktober 1942: „Lieber Klaus, Dein Buch hat mich außerordentlich beschäftigt.“ Er sei „auch überrascht“ darüber, dass ein junger Mann schon diesen Überblick haben könne. Heinrich stellte fest, dass ihre geistige und politische Nähe größer war als die persönliche. „Ein Buch kann gesprächig machen …“.
Klaus Mann meldete sich Ende 1942 zur US Army, bei der er nach langer Wartezeit angenommen wurde. Sein Onkel Heinrich konnte in Hollywood im Filmgeschäft nicht reüssieren, und die literarische Öffentlichkeit in den USA ignorierte ihn. Nelly nahm sich im Dezember 1944 das Leben. Als Soldat aus Italien kondolierte Klaus am Neujahrstag 1945 gegenüber dem Onkel, dem das guttat – die Familie Mann hatte Nelly, die „Bardame“, abgelehnt. An seine Mutter gerichtet, äußerte Klaus sich am selben Tag dagegen abfällig über Nelly.

Nach Kriegsende

Unmittelbar nach Kriegsende war der US-Soldat Klaus Mann auch in Deutschland, darunter in seiner Heimatstadt München. Das Elternhaus in der Poschingerstraße fand er schwer beschädigt. Er stellte fest, dass niemand etwas gewusst haben wollte von den Greueln des „Dritten Reichs“, keiner übernahm Verantwortung. Ein „anderes Deutschland“, von dem er im Exil immer gesprochen hatte, fand er nicht vor. In einer auf englisch gehaltenen Radioansprache äußerte Klaus Mann 1947 in Stockholm: Die meisten Landsleute hätten Hitler bejubelt, nur eine kleine Minderheit sah klar, die ins Exil flüchten musste. Am Anfang gaben „wir“ uns Illusionen hin, leider aber hätten die Deutschen ihren Führer verehrt und wollten ihn am liebsten zurück.
Klaus Mann war 1945 auch im KZ Theresienstadt und sah Mimi, die erste Frau seines Onkels Heinrich wieder, die in dem Lager jahrelang inhaftiert war. Darüber schrieb Klaus an Heinrich einen ausführlichen Brief. An den Folgen der Haft starb Mimi zwei Jahre später. In seinen späten Briefen an Heinrich äußerten sich bei Klaus Anzeichen von Schuldgefühlen, sich in den USA nicht stärker um ihn gekümmert zu haben (Brief aus New York vom 1. Januar 1947).

Tod des Neffen und des Onkels

Am 21. Mai 1949 starb Klaus Mann nur 42-jährig in Cannes an einer Überdosis Schlaftabletten. Er sah für sich keine Perspektive mehr, seine Bücher der Exilzeit fanden in den ersten Nachkriegsjahren keine Resonanz. 
Heinrich Mann starb nur ein knappes Jahr später am 12. März 1950 in Santa Monica (Kalifornien). Von seiner Nichte Monika stammt – die Sendung zitiert – ein berührendes Porträt des greisen Onkels: „Der Lübecker Patrizier mit dem Gebahren des französischen Grandseigneurs ging einsam, fremd und müde durch die Alleen von Santa Monica. Leicht gebeugter Rücken, die Arme etwas nach vorne hängend, der Panamahut seine junge Stirn beschattend, schaute er verständnislos auf das Treiben der Menschen. Abhold, verschlossen ihrer Sprache, ihrer Mentalität. Sein Gang war elegante Opposition und vollkommene Isoliertheit.“ Gegenüber seinem Biographen Karl Lemke hatte Heinrich Mann seine Nichtbeachtung in den USA beklagt: „Ich bin in fünfzig Jahren nicht so völlig übersehen worden. Wer keine Dollars nötig hätte, würde lachen.“ 
Sein letzter Text war – als Teil eines von seiner Nichte Erika initiierten Gedächtnisbuchs – ein unvollständig hinterlassener Essay über den Neffen Klaus, über den er sich nie zuvor öffentlich geäußert hatte: Ein, so Uwe Naumann, brillantes Porträt. „Klaus war leicht, heiter, neugierig zu leben. Kind des Jahrhunderts. […] Es ist zu sagen, dass dieser ein reiner Mensch war.“ Als das Buch „Klaus Mann zum Gedächtnis“ im Sommer 1950 im Querido-Verlag erschien, war auch Heinrich Mann bereits gestorben.

Die drei Musiker – Violine, Klavier, Cello – kleiden die Erzählung je nach vorherrschender Stimmung in mal heiter federnde, mal melancholisch-dramatische Klänge.

Die Sendung dürfte eine rundfunktaugliche Bearbeitung des gleichnamigen E-Books von Uwe Naumann darstellen, der sich auf die Familie Mann spezialisiert hat und unter anderem die Werke der Geschwister Klaus und Erika Mann herausgibt. Zuvor erschien, von Naumann gemeinsam mit Inge Jens ediert: Klaus Mann, „Lieber und verehrter Onkel Heinrich“ sowie die rororo-Bildmonographie „Klaus Mann“. – Uwe Naumann hat auch die bis Januar 2018 in der Münchner Monacensia gezeigte Ausstellung „,Mon Oncle‘. Klaus und Heinrich Mann“ kuratiert.

Mon Oncle – Lieber Klaus

Die Geschichte von Klaus und Heinrich Mann

Von Uwe Naumann
Im O-Ton: Jindrich Mann, Frido Mann
Sprecher: Krista Posch (Erzählerin), Peter Fricke (Stimme Heinrich Mann), Heiko Ruprecht (Stimme Klaus Mann), Martin Umbach, Karin Anselm, Katja Bürkle
Musik: Esther Schoepf (Violine), Norbert Groh (Klavier), Klaus Kämper (Violoncello)
Regie: Gabriele Förg

Bayern 2, Reihe: Bayerisches Feuilleton
14. Januar 2017, 8.05 Uhr, 55 min.