Ludwig van Beethovens von ihm schon früh bemerkte zunehmende Schwerhörigkeit, die im Lauf der Jahre zur völligen Ertaubung führte, bedeutete für sein Leben und insbesondere natürlich für seinen Beruf als Musiker einen entscheidenden Einschnitt. Damit befasst sich eine SWR2 Musikstunden-Reihe – erstmals gesendet im Dezember 2013.
Beethoven etablierte sich in Wien, wo er seit 1792 lebte, zunächst als Pianist, dann auch als Komponist. Erste Anzeichen einer Schwerhörigkeit bemerkte er bereits vor seinem 30. Lebensjahr. Dass sein Gehör „seit drei Jahren immer schwächer geworden“ sei, schreibt er 1801 an seinen Bonner Freund, den Mediziner Franz Gerhard Wegeler. Seine Ohren „sausen und brausen Tag und Nacht fort […], seit zwei Jahren fast meide ich alle Gesellschaften, weil‘s mir nicht möglich ist den Leuten zu sagen: Ich bin taub.“ Wegeler und einen anderen Freund, den er einweihte, bat Beethoven um Diskretion, denn, so Sendungs-Autorin Susanne Herzog, „er hatte Sorge, dass sein Ruf als Pianist und Komponist in Wien leiden würde. […] Er sah seine Karriere in Gefahr“. In Gesellschaft, schreibt Beethoven an Wegeler, werde sein schlechtes Hören auf seine „Zerstreuungen“ zurückgeführt. Damals hoffte Beethoven noch auf Heilung. Heute würde, entsprechend seiner eigenen Beschreibung, bei ihm wohl Tinnitus und Geräuschüberempfindlichkeit diagnostiziert werden.
Eine große Zahl an Publikationen versucht, die Ursachen für Beethovens Schwerhörigkeit zu ergründen. Indizien dafür sollte auch der Obduktionsbericht liefern, „da Beethoven angeordnet hatte, dass man nach seinem Tod die Gründe für seine Taubheit herausfinden solle.“ (Herzog) Das Fleckfieber, an dem er 1796 vermutlich litt, Syphilis oder Durchblutungsstörungen werden unter anderem als Ursachen genannt.
Beethoven wurde über viele Jahre von einer Reihe von Ärzten, nicht nur wegen seiner Schwerhörigkeit, behandelt. Da ihm tatsächlich keiner helfen konnte, war er auf das Metier nicht gut zu sprechen.
Heiligenstädter Testament
Unter anderem eine aus Standesgründen nicht mögliche Heirat führte bei Beethoven im Jahr 1802 zu einer psychischen Krise. Sein damaliger, von Beethoven sogar geschätzter Arzt Johann Adam Schmidt sah einen Ausweg in einer Ruhephase außerhalb von Wien. Sechs Monate verbrachte der Komponist in der damals noch eigenständigen Gemeinde Heiligenstadt. In seinem Kurort verfasste er vor seiner Rückreise das sogenannte Heiligenstädter Testament, ein Ausdruck einer auch durch die Ruhephase nicht zu bezwingenden Verzweiflung, da das halbe Jahr ihm keine Linderung seiner Schwerhörigkeit gebracht hatte. „Wie ein Verbannter“ müsse er aufgrund seines Leidens leben, erklärt Beethoven, und spricht von seiner „heißen Ängstlichkeit“, dass sein Zustand bemerkt werde. Sogar an Selbstmord habe er bereits gedacht. Doch die Musik, „die Kunst, sie hielt mich zurück, ach es dünkte mir unmöglich, die Welt eher zu verlassen, bis ich das alles hervorgebracht, wozu ich mich aufgelegt fühlte“. In einem Zusatz gesteht Beethoven, nun keine Hoffnung mehr auf Heilung zu haben. Das „Heiligenstädter Testament“ bewahrte er sein Leben lang auf, es wurde erst im Nachlass gefunden.
Hörhilfen
Als Beethovens nachlassendes Hörvermögen dann doch in der Öffentlichkeit bekannt wurde, gab es unterschiedliche Bemühungen um Abhilfe: Zum Beispiel konstruierte der durch seine Musikautomaten und das Metronom bekannte Johann Nepomuk Mälzel für den leidenden Komponisten verschiedene Hörrohre. Der englische Klavierfabrikant Thomas Broadwood schenkte Beethoven ein besonders lautes Instrument. Friedrich Wieck, Clara Schumanns Vater, der Beethoven 1823 besuchte, hörte ihn auf diesem Instrument phantasieren, „nachdem er seine Gehörmaschine angelegt und auf den Resonanzboden gestellt“ (Wieck) – wie auch immer dies bewerkstelligt wurde.
Beethoven spielte also auch während seiner letzten Lebensjahre immer noch Klavier. Dies aber längst nicht mehr öffentlich. Als Pianist war er 1814 zuletzt in einer Aufführung seines Erzherzogtrios zu hören, im Jahr darauf noch einmal im Kreis des Hofes. Danach machte er nur noch als Dirigent weiter.
Zunehmende Schwierigkeiten beim Dirigieren
Aus dem Jahr 1822 ist zu erfahren, dass Beethoven bei der Uraufführung von „Die Weihe des Hauses“ einen Dirigier-„Assistenten“ hatte. Und im gleichen Jahr im November konnte er während der Probe zu einer Fidelio-Aufführung „Sänger und Orchester nicht mehr zusammen halten“. (Susanne Herzog) „Es konnte nicht fehlen, daß der gehörlose Meister Sänger und Orchester in die größte Konfusion und gänzlich aus dem Takt brachte, und keiner mehr wußte, wo er war“, so das spätere Zeugnis der damals siebzehnjährigen Wilhelmine Schröder-Devrient, einer der berühmtesten Sängerinnen ihrer Zeit, die als Leonore debütierte. Anschließend musste Beethoven beigebracht werden, dass er die Aufführung nicht würde leiten können.
Die Konversationshefte
Dass Beethoven schon einige Jahre zuvor kaum noch etwas hören konnte, davon zeugen ab 1818 geführte kleine Notizhefte, in die seine Gesprächspartner ihre Äußerungen nunmehr hineinschrieben. 139 dieser „Konversationshefte“ sind erhalten. Was der Meister gesagt hat, lässt sich allerdings nur erschließen oder erraten – wenn dies überhaupt gelingt. Die Konversationshefte sind eine faszinierende Quelle auch für Beethovens private Welt, so für sein Verhältnis zum Dienstpersonal, mit dem der Hausherr nie zufrieden war, das aber auch unter dem despotischen Verhalten eines schwierigen, weil eben fast gehörlosen Dienstherrn zu leiden hatte. In seltenen Fällen hat auch Beethoven seine Gedanken notiert, etwa wenn es um Vertraulichkeit ging und er nicht belauscht werden wollte. Oder wenn sein Gesprächspartner ebenfalls schwerhörig war, wie 1823, als es mit einem Herrn Sandra verständlicherweise um mögliche Linderung für beider Leiden ging, ein Erfahrungsaustausch. „[…] die Ärzte wissen wenig“, beklagt Beethoven resignierend.
Interessant sind die Konversationshefte auch deshalb, weil Beethoven sie zusätzlich für Notizen und Skizzen gebrauchte. Auch Zeitungsanzeigen schrieb er ab, wenn solche für die Bekämpfung seines Leidens von Interesse waren: Weil zum Beispiel eine „Electro Vibrations Maschine“ gegen Schwerhörigkeit und Taubheit oder eine „Kopfmaschine für Schwerhörende“ angeboten wurde. Und es finden sich, so die Autorin, immer wieder Einträge zu neuen Behandlungsmethoden. Dazu in der Sendung eine zeitlose Einschätzung von Beethovens Neffe Karl: Die Ärzte „richten sich nach der Mode. Denn wie man sieht, finden auch in der Medizin Moden statt.“
Uraufführung der Neunten
Für die – schwierigen – Vorbereitungen und Umstände der Uraufführung von Beethovens Neunter 1824 sind die Konversationshefte eine reiche Quelle: Sänger und Instrumentalisten sahen sich vor hohe Anforderungen gestellt, die Kopisten mussten in Rekordzeit arbeiten. Wo das Konzert (die „Akademie“) überhaupt stattfinden würde, blieb lange ungeklärt: Im Theater an der Wien wurde Beethovens bevorzugter Konzertmeister Schuppanzigh nicht akzeptiert, bei anderen Sälen gab es Terminschwierigkeiten. Die Entscheidung fiel schließlich für das Kärntnertortheater, der Aufführungstermin wurde mehrmals verschoben. Das aber war Schuppanzigh recht: „Uiberhudeln läßt sich diese Musik nicht, es ist immer besser, wenn wir noch einige Tage gewinnen. […] Die Sängerinnen können noch keine Note.“ Trotz unzulänglicher Vorbereitung reagierte das Uraufführungspublikum mit Beifallsstürmen.
Nach dem Konzert stellte sich die Nettoeinnahme als dürftig heraus. Beethoven machte dafür seinen Sekretär Anton Schindler verantwortlich: Die Konversationshefte bezeugen eine Auseinandersetzung in kleiner Runde wenige Tage später. Schindler verteidigte sich vergeblich, obwohl sich auch Schuppanzigh für ihn einsetzte: „Der arme Teufel kann nichts dafür, er ist wirklich unschuldig.“
Beethoven und sein Neffe Karl
Beethoven war von seinem schon 1815 verstorbenen Bruder Kaspar Karl testamentarisch gemeinsam mit seiner Schwägerin zum Vormund von Beethovens Neffen Karl bestimmt worden. Der Komponist verachtete Karls Mutter – er nannte sie die „Königin der Nacht“ – und errang schließlich nach jahrelangem Rechtsstreit die alleinige Vormundschaft. Das Verhältnis zu dem 1806 geborenen Jungen war kein einfaches. Karl hatte andere berufliche Vorstellungen als sein Onkel – zuletzt wollte er zum Militär. „So fürsorglich und liebevoll Beethoven auf der einen Seite zu Karl war“, beschreibt es Susanne Herzog, „so sehr kontrollierte er aber auch jeden Schritt des Neffen und beobachtete sein Handeln mit stetem Misstrauen.“ Dagegen wehrte sich Karl, wie ein Konversationsheft aus dem Jahr 1823 zeigt. Ein anderes Mal missbilligt Beethoven die Wahl eines Freundes seines Neffen, den er „roh und gemein“ findet. Das schwierige Verhältnis gipfelt in einem Selbstmordversuch Karls im Jahr 1826: Von zwei Schüssen in den Kopf verletzte ihn aber „nur“ der zweite an der Knochenhaut. Als Motiv notiert der Geiger Karl Holz für Beethoven: „Er gibt keine andere Ursache an, als die Gefangenschaft bei Ihnen.“ Beethoven akzeptierte schließlich Karls Berufswunsch und erlaubte ihm zum Militär zu gehen.
Der taube Komponist bei Proben
Interessante Beobachtungen sind von Proben zu Beethovens späten Streichquartetten überliefert. Unter anderem notierte Joseph Böhm, der Schuppanzigh an der ersten Geige zeitweilig ersetzte, wie der taube Komponist 1825 eine Probe seines op. 127 erlebte: „Mit gespannter Aufmerksamkeit folgten seine Augen dem Bogen und darnach wußte er die kleinsten Schwankungen im Tempo oder Rhythmus zu beurteilen und selbe auch gleich abzustellen.“
Die Frage, „inwiefern Beethovens spätere Taubheit seine Werke beeinflusst hat“, mag Susanne Herzog nicht beantworten. Dazu eine von mir ergänzte interessante Einschätzung des Komponisten Arthur Honegger: „Ich wäre versucht, zu behaupten, dass die Taubheit, die ihn in sich selbst einmauerte, der Konzentration seines Genies förderlich war und ihn vor Abgeschmacktheiten und Banalitäten seiner Zeit bewahrte“ (zitiert nach: Fritz Zobeley, Ludwig van Beethoven, rororo bildmonographie Nr. 103).
- Zur Sendungsübersicht mit den Manuskripten, denen die Originalzitate entnommen sind.