Ö1, 4. Juli 2015

Aberglauben in archaischer Bauernwelt

„Das Wechselbälgchen“ – Hörspiel nach der Erzählung von Christine Lavant

„Wechselbalg, ein Kind, das angeblich einer Wöchnerin statt des ihrigen, das ihr entführt wird, untergeschoben worden. Nach nordeuropäischem Volksglauben stammt der W. von den Zwergen (Unterirdischen) oder Nixen (oder von Hexen und dem Teufel). Mißgestaltet, namentlich mit großem Kopf oder einem Kropfe […], mehr grunzend als schreiend, ist er unersättlich…“ (Meyers Großes Konversations-Lexikon, 1860).

Wrga, die Bauernmagd mit einem Glasauge, hat eine uneheliche kleine Tochter, Zitha, die geistig zurückgeblieben ist, körperlich entstellt und kaum sprechen kann. Dass Zitha ein Wechselbälgchen sei, darauf besteht erst Lenz, der tüchtige Knecht „von den gläsernen Grenzbergen“, der sich in allem auskennt und Wrga einschärft, sie müsse das Kind loswerden. 
Der Knecht hat Absichten mit der Bauernmagd, denn er glaubt, in ihr diejenige zu erkennen, die ihm im Traum erschienen war und darin sagte, wenn er sie nehme, würde er aus dem Knechtsdasein herauskommen. Also sorgt Lenz dafür, dass er und Wrga eine Vollmondnacht allein im Lager im Heu verbringen. Der Pfarrer bestärkt dann Wrga darin, den Lenz zu heiraten, und er, der Geistliche, wolle ihm zur freigewordenen Gemeindebotenstelle verhelfen. Auch Lenz will heiraten, „aber der Balg dort kommt mir nicht in mein Haus“. Wrga aber widersteht, ihre Zitha will sie nicht hergeben.
Als Gemeindebote ist Lenz „ein Herr geworden“ und hat noch in billiger Pacht die alte Mühle bekommen. Das Bälgchen aber will er immer noch loswerden und Wrga, nunmehr seine Ehefrau, schlägt er immer wieder windelweich. Eine Tochter ist noch dazugekommen, Magdalena, der „blonde Engel“. Beide Kinder kommen gut miteinander aus. Die Zitha aber bringt Wrga vor Lenz lieber in Sicherheit. Der hört nicht auf daran zu denken, den Balg zu beseitigen – wie nur könnte man es machen?

In diesen Tagen wird der 100. Geburtstag der Kärntner Dichterin und „grandiosen Sprachkünstlerin“ (NZZ) Christine Lavant (4.7.1915-1973) gefeiert. Erst 25 Jahre nach ihrem Tod erschien ihre Erzählung „Das Wechselbälgchen“, die lange vergriffen war, vor drei Jahren dann vom Wallstein Verlag neu herausgegeben wurde und viel Beachtung fand. 
Spricht Sophie Rois in einem Hörspiel, so ist allein das ein Argument es anzuhören. Für das Hörspiel und eine ungekürzte Fassung, die als Klangbuch im Mandelbaum Verlag erscheint, wird der Text von einem attraktiven Sound vor allem aus Trompete und Perkussion begleitet bzw. unterlegt. Sprache und Musik gemeinsam entfalten einen starken Sog. Können die Instrumente bisweilen die Aufmerksamkeit vom gesprochenen Text ablenken, so wird von dessen erzählerischer Wucht dennoch nichts genommen – dafür sorgt allein die Sprecherin. Die Sprache der Erzählung wirkt ganz authentisch wie die einer Beteiligten aus dieser bäuerlichen Welt, die das Geschehen selbst beobachtet hat.
Es sollte nicht verwundern, wenn dieses Hörspiel in die engere Auswahl zum ORF-Hörspiel des Jahres kommt.

Nachtrag 27.2.2016: Treffer! „Das Wechselbälgchen“ gewann die Hörerabstimmung zum ORF-Hörspiel des Jahres 2015. Chapeau und herzlichen Glückwunsch an die Macher dieser gelungenen Produktion.

Das Wechselbälgchen

Hörspiel nach der Erzählung von Christine Lavant

Bearbeitung: Julia Hahn und Peter Rosmanith
Mit Sophie Rois, Franz Hautzinger (Trompete), Matthias Loibner (Drehleier), Peter Rosmanith (Perkussion)
Regie: Peter Rosmanith
Autorenproduktion im Auftrag des ORF 2015

Erneut gesendet am 27.2.2016 als ORF Hörspiel des Jahres 2015 (Hörerabstimmung) 

Ö1
4. Juli 2015, 14.00 Uhr, 60 min.