Deutschlandfunk, 24. Juli 2015

„Diese ÖPP-Geschichte ist nicht sauber“

Öffentlich-private Partnerschaften: mehr contra als pro

Öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP) liegen seit geraumer Zeit im Trend: Öffentliche Hand und Privatwirtschaft sollen darin in der Weise zusammenarbeiten, dass beispielsweise in Infrastrukturmaßnahmen die öffentliche Seite für hoheitliche Aufgaben private Unternehmen beauftragt, um effizienter zu wirtschaften, also Kosten zu sparen. Voraussetzung ist, dass eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung ergibt, dass die ÖPP-Variante kostengünstiger wäre, als wenn der Staat ein Objekt selbst betreibt, ein sogenannter konventioneller Bau.

Beispiel Sanierung und Ausbau der A7

Der niedersächsische SPD-Landtagsabgeordnete Ronald Schmincke lernte ÖPP in dem Projekt Sanierung und Ausbau eines Teilstücks der Autobahn A7 kennen. Die Wirtschaftlichkeitsberechnungen wurden hier für jeweils eine Variante vom Land Niedersachsen bzw. vom Bundesverkehrsministerium vorgenommen. Die Bundes-Seite, so Schmincke, veränderte dann die vom Land vorgelegten Zahlen zuungunsten des konventionellen Baus, womit die Entscheidung für das ÖPP-Projekt fiel. Ein Verantwortlicher der Landesstraßenbaubehörde Niedersachsen widersprach – dafür erntete er ein Disziplinarverfahren des Wirtschaftsministers des Landes. Ronald Schminckes Kommentar: „… so gehen die mit den Kritikern um, mit denjenigen, die die Wahrheit sagen. […] Diese ÖPP-Geschichte ist nicht sauber […]“. Und die Zahlen würden zudem unter Verschluss gehalten.

ÖPP-Gegner Bundesrechnungshof

Enak Ferlemann, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, ist Verfechter von ÖPP. Er widerspricht sogar Berechnungen des Bundesrechnungshofes, der 2014 darlegte, dass von ihm näher untersuchte ÖPP-Projekte – fertiggestellte Autobahn-Teilstücke – unwirtschaftlich sind. Das Bundesverkehrsministerium habe seine Wirtschaftlichkeitsziele weit verfehlt.
„ÖPP-Ausschreibungen und -Verträge sind viel komplexer als herkömmliche“, so der Autor dieses Dossiers. Der Umfang der Akten ist enorm. Die Verträge dazu sind geheim, sogar Bundestagsabgeordnete dürfen sie nur in „Geheimschutzräumen“ einsehen und müssen darüber Stillschweigen bewahren. Auch Wissenschaftler kennen nicht den Vertragswortlaut.
Laut Bundesrechnungshof, der allerdings Einblick in die Verträge erhält, spreche für den Bund, dass er nur niedrige Kreditzinsen zu zahlen habe. Zu beachten sind auch die hohen Kosten für Ausschreibungen und Verträge. Die Bundesregierung weise eine dem privaten Bauherrn unterstellte bessere Effizienz nicht nach, so der Ökonom Holger Mühlenkamp, Professor für Öffentliche Betriebswirtschaftslehre an der Universität für Verwaltungswissenschaft in Speyer. Enak Ferlemann meint dagegen, dass ein ÖPP-Konsortium etwa bei der Beauftragung von Subunternehmen nicht wie der Bund auf Einhaltung der Tariftreue oder Förderung des Mittelstandes zu achten habe.

In Gefahr: Autobahnmeisterei Seesen

Ronald Schmincke sieht sich als Gewerkschafter auf der Seite der Arbeitnehmer, wie etwa der Kollegen der Autobahnmeisterei Seesen. Diese sind Landesangestellte, die mit der Privatisierung durch ein ÖPP-Unternehmen abgelöst würden und sich dagegen wehren. Der Autor besucht die Mitarbeiter, die eigentlich Sprechverbot gegenüber Landtagsabgeordneten und Journalisten haben. Die Beschäftigten haben im Zug der Wirtschaftlichkeitsberechnung in ihren Augen nachgewiesen, dass sie effizienter sind als private Betreiber. Dies habe ihnen sogar Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel bestätigt, es sei aber „im Endeffekt egal“.

Schlupfloch für die Schuldenbremse

Inzwischen nimmt die Zahl der ÖPP wieder zu – gegen den Rat der Rechnungshöfe. Diese Projekte ermöglichen für Bauvorhaben oder Sanierungen, die Schuldenbremse zu umgehen – es wird ja kein Kredit mehr aufgenommen – und sind darum für Politiker attraktiv. Auch Holger Mühlenkamp sieht in ÖPP ein Schlupfloch für die Schuldenbremse. Er fragt sich, „ob die Einführung der Schuldenbremse nicht einer der größten Lobby-Erfolge der letzten Jahre war“. Tatsächlich werde indirekt verschuldet.

ÖPP Deutschland AG

Die ÖPP Deutschland AG, auch genannt Partnerschaften Deutschland, will bei Erwägung einer öffentlich-privaten Partnerschaft Entscheidungshilfe leisten. Gesellschafter sind zu 57 Prozent die öffentliche Hand, zu 43 Prozent Privatfirmen. Kritiker nennen sie „die erste vom Staat finanzierte Lobbygruppe“, denn die Privaten, insbesondere Bauunternehmen, die angeblich mit neutral beraten, haben ja Eigeninteresse: Sie sind natürlich als mögliche Auftragnehmer für ÖPP. Immerhin behauptet die ÖPP Deutschland AG, 2013 in knapp einem Drittel der Beratungen von der ÖPP-Realisierung abgeraten zu haben.

Im Zuge der Privatisierungen fehlen auf der öffentlichen Seite auch immer mehr eigene Experten, ein Nachteil für Verhandlungen mit privaten Unternehmen. Die Wirtschaft ihrerseits möchte bei Projekten noch mehr übernehmen, etwa Bau und Bewirtschaftung.

Bei der A7 in Niedersachsen, so der Autor, ist das letzte Wort pro oder contra ÖPP noch nicht gesprochen. Aufgrund der Uneinigkeit zwischen Land Niedersachsen und Bund ist der Ausbau der Autobahn ins Stocken geraten und die dringend reparaturbedürftige Strecke wird weiter geflickt. Frühestens 2016 wird der Bau beginnen.

Bauen mit dem Geld von morgen

Über Sinn und Unsinn öffentlich-privater Partnerschaften

Von Manuel Waltz
Sprecher: Andreas Potulski und Christina Puciata
Regie: Ulrike Bajohr
Produktion: Deutschlandfunk 2015

Deutschlandfunk, Reihe: Dossier
24. Juli 2015, 19.15 Uhr, 45 min.