Der 25. Jahrestag des Gladbecker Geiseldramas von 1988 war den Medien vor drei Jahren eine ausführliche Erinnerung wert. Dass es 17 Jahre zuvor in kleinerem Format ein Verbrechen mit vergleichbaren Begleiterscheinungen gab, daran erinnern sich heute wohl nur die Älteren: ein Banküberfall mit Geiselnahme (damals ein Novum im Land) und Lösegeldforderung vor einem tausendfachen Publikum und mit Liveberichten der Medien. Geschehen am Nachmittag des 4. August 1971 in München, und beendet noch am gleichen Abend im Kugelhagel der Polizei.
Aus authentischen Dokumenten und Befragungen von Beteiligten montierte die Regisseurin und Autorin Inga Helfrich ein Hörspiel zu diesem in die Kriminalgeschichte nicht nur Münchens eingegangenen Tag, erstgesendet bereits im letzten Jahr: „Rettet das Geld“.
Zwei Sprecher
Das Geschehen erschließt sich durch lediglich zwei Stimmen. Eine weibliche (Wiebke Puls) gibt Aussagen von nur einer Person wieder: einer der von den zwei Gangstern festgehaltenen Geiseln. Es sind Zitate ihrer Vernehmung durch die Kriminalpolizei, aus denen der Ablauf innerhalb der Bank nachvollzogen werden kann. Die andere – männliche – Stimme (Edmund Telgenkämper) übernimmt verschiedene andere Personen, schildert aber auch eingestreute Lageberichte und Handlungsabläufe. Daraus wird deutlicher, was sich in den acht Stunden der Geiselnahme außerhalb der Bank abspielte. Hauptsächlich hören wir durch den männlichen Sprecher Gedanken, die einem der Täter zugeschrieben werden – auch zur Planung der Tat –, sowie die Wahrnehmungen eines 15-jährigen Azubi, der nach einer Radiomeldung auf eigene Faust zum Ort des Geschehens fuhr, und eines Jungpolizisten, der die Kollegen vor Ort verstärkte.
Den größten Berichtsanteil in diesem Hörspiel hat die weibliche Zeugin, deren Aussagen die Geiselnahme anschaulich schildern. Sie war selbst bis wenige Wochen vor jenem dramatischen Tag in der am 4. August 1971 überfallenen Deutsche-Bank-Filiale in der Münchner Prinzregentenstraße angestellt, hatte aber von sich aus gekündigt. Ihr Verhältnis zu einigen Ex-Kollegen in der Bank blieb gut, und so besuchte sie diese manchmal, wenn sie in der Nähe war.
Kein Scherz: Banküberfall
So auch an jenem Mittwoch-Nachmittag, als sie die Bank nicht lange vor Schalterschluss betrat. Doch kaum, dass sich die kleine Gesellschaft im sogenannten Aufenthaltsraum einem Umtrunk widmen kann, erscheint ein Arbeiter und ruft „Bankräuber“ und „Banküberfall“. Dass dies kein schlechter Scherz war, wird schnell deutlich: Ein Mann mit verhülltem Gesicht und Sturzhelm auf dem Kopf kommt mit erhobenem Revolver auf das Grüppchen zu und bedeutet den Anwesenden, in den Schalterraum mitzukommen. Dort hielt ein auf gleiche Weise vermummter Mann mit Maschinenpistole weitere etwa zwanzig Personen in Schach.
Sechs Geiseln bleiben
Nachdem die Mehrzahl der zunächst bedrohten Kunden und Angestellten die Bank verlassen durfte – als Nachzügler auch der über Herzbeschwerden klagende Filialleiter –, halten die Räuber noch sechs Geiseln fest, darunter die nur zu Besuch eingetroffene Ex-Angestellte. Einziger Mann unter den Geiseln ist ein Kassierer. Die Geiselnehmer ersetzen ihre Sturzhelme durch rote, das Gesicht verhüllende Kapuzen mit ausgeschnittenen Augen.
Vor der Bank versammeln sich derweil die ersten Schaulustigen. Bankraub mit Geiselnahme, das hat es noch nicht gegeben. Was für ein Spektakel, es ertönen Rufe wie „Abschießen, knallt sie ab“. Die Polizei sperrt den Platz mit Seilen.
Der Kassierer wird beauftragt, bei der Polizei anzurufen. Er liest die Forderungen der Gangster, die sich als Angehörige einer in Wahrheit erfundenen „Roten Front“ ausgeben, von einem Zettel ab: Zwei Millionen DM verlangen sie als Lösegeld für die Freilassung der Geiseln – dazu einen bereitgestellten Fluchtwagen. Bis zum späten Abend soll das Geld in der Bank eingetroffen sein.
Dadurch, dass die Geiseln rauchen und Sekt trinken dürfen, lockert sich die Atmosphäre. Weil draußen aber hörbar immer mehr Polizeiwagen eintreffen, werden die Täter nervös, sie versichern ihre Bereitschaft zu schießen. „Meine Angst war sehr groß. … Die zeitweise enorm aufgetretene Nervosität der beiden Täter übertrug sich verständlicherweise auch auf uns …“. Von draußen wird mitgeteilt, dass die Lösegeldforderung erfüllt werde, die Geldbeschaffung aber länger dauere.
Vor der Bank ertönt auf einmal Riesenapplaus: Vom gegenüberliegenden Edelfeinkostgeschäft Käfer wird Essen zu den Geiselnehmern und ihren Opfern herübergetragen. Und angeblich wurde Franz Josef Strauß (damals Oppositionspolitiker im Bundestag) gesichtet. Die Reaktion sind Pfiffe. Der Jungpolizist macht sich Gedanken um eingetroffene „Fremdführungskräfte“, wie einen Oberstaatsanwalt, und auch Herrn Strauß. Wer hat jetzt das Sagen? Gibt man nach? Auf dem Platz herrscht Volksfestatmosphäre.
Bei Geldübergabe Schüsse
Der Abend ist weit fortgeschritten, als der Kassierer angerufen wird, weil die Geldübergabe stattfinden könne. Der Gangster mit dem Revolver sagt, das Geld solle in einer Reisetasche oder Ähnlichem vor dem Haupteingang der Bank abgelegt werden und die Polizei solle wegfahren.
„Sie brauchen Schützen.“ In Dienststellen wird angefragt, ob jemand Jäger sei oder Erfahrung mit Schusswaffen habe. Die Schützen werden in Häusern rund um die Bank platziert. Der Tatort wird durch Scheinwerfer hell beleuchtet.
Nach dem Anruf in der Bank sagt der Revolvermann, dass eine Geisel mit ins bereitgestellte Fluchtauto müsste, die später freigelassen werde. Dem Plan der Gangster entsprechend soll zunächst nur einer von ihnen mit dem Geld und einer Geisel abziehen und später zurückkehren, um seinen Komplizen zu holen. Von drei der Frauen, die sich für die erste Abfahrt zur Verfügung stellen, wird die junge Kollegin Fräulein R. ausgewählt. Ein Klopfen an der Tür signalisiert, dass das Lösegeld vor dem Eingang bereit steht. Der Kassierer bringt es zum in kurzer Entfernung stehenden, für die Flucht vorgesehenen BMW und führt anschließend Fräulein R. dorthin. Ihre Hände sind gefesselt, eine schwarze Wollmütze verhüllt das Gesicht. Anschließend kommt unbegleitet der Täter mit der Maschinenpistole zum Wagen, wo die Geisel bereits Platz genommen hat. Als beide im Auto sitzen, wird sofort geschossen, der Täter sackt tot zusammen, auch die Geisel wird getroffen. „Die schießen ja, die schießen ja“ entfährt es laut ihrer Aussage der Geisel in der Bank. Der dort verbliebene Täter drückt, hinter ihr stehend, die junge Frau an sich, sie als Deckung nutzend.
Wie im Gangsterfilm
Der Junge draußen erlebt das Geschehen wie im Gangsterfilm: ein Kugelhagel, „an den Fenstern überall Scharfschützen“. Er muss, sicher nicht als Einziger, in Deckung gehen. Die Polizei schlägt ein Fenster der Bank ein, in der auch geschossen wird.
Die Geisel in der Bank nimmt aus allen Richtungen Schüsse wahr. Durch die eingeschlagene Scheibe schießen Polizisten hinein. Der zweite Täter und seine Geisel flüchten in Deckung hinter einen Stahlschrank. Die Angst, von den Polizisten erschossen zu werden, ist bei der Geisel größer als die vor ihrem Geiselnehmer. „Bitte erschieß mich nicht, ich will leben“, fleht sie ihn an. Der Täter wirft seine Waffe auf den Boden. Polizeibeamte sind durch die zerschlagene Scheibe in den Raum gelangt. Der Täter ergibt sich.
Etwas anders beobachtet [vermutlich] der Jungpolizist von außerhalb, was in der Bank geschieht und wie seine Kollegen, auch mit MP, waagerecht in die Bank schießen und hineinstürmen. „Die erschießen sich fast gegenseitig.“ Als der Täter seine Waffe zum Boden richtet, ist das Schießen vorbei.
In der Nothilfe verstirbt, durch mehrere Schüsse schwer verletzt, die im BMW getroffene Geisel.
Die in der Bank vom zweiten Gangster festgehaltene Geisel ruft, als Polizisten auf ihren Peiniger, der die Arme in die Höhe gehoben hatte, einschlagen: „Scheißbullen … der hat uns nichts getan…“. Ein Uniformierter schlägt ihr auf den Kopf, sie wird bewusstlos, kommt ins Krankenhaus und trägt, wie bereits zu Beginn des Stücks zu hören, „eine leichte Gehirnerschütterung sowie eine sternförmige Platzwunde“ davon.
Ein Gutachten zum überlebenden Täter schätzt diesen als „zurechnungsfähig“ ein. Hat er geschossen? (Von der Geisel ist dazu dem Hörspiel nichts zu entnehmen.) Ja, „aber doch nur zur Abschreckung“, ist als Meinung vermutlich des jungen Polizisten zu hören. Wegen der Schießerei auf versuchten Mord verurteilt, erhält der Geiselnehmer lebenslänglich plus 12 Jahre.
Polizei muss sich rechtfertigen
Der Ablauf des Polizeieinsatzes am späten Abend des 4. August 1971 wurde in den Medien zum Teil scharf kritisiert. „Laut Schießbefehl des Oberstaatsanwalts […] sollten die zwei Verbrecher ,kampfunfähig geschossen‘“ (Spiegel 33/1971) und keine weiteren Personen gefährdet werden. Die von den Geiselnehmern gewählte Taktik – Abzug in Etappen – war von der Polizei-Einsatzleitung nicht erwogen, der „Schießbefehl“ aber nicht revidiert worden. Der Kugelhagel bedeutete dann „auch für die Geisel ein Todesurteil“ (SZ, zitiert laut Spiegel ebd.) – „und für den Täter eine nach den Polizeivorschriften – und nach dem Grundgesetz – unzulässige Exekution“ (Spiegel ebd.). Auch die Fortsetzung des Einsatzes mit dem Sturm auf die Bank sei dilettantisch geraten.
Und so fließt in das Hörspiel auch eine Rechtfertigung des Polizeieinsatzes ein: Der Einsatzleiter habe nicht nur Individualschicksale zu bedenken, sondern „höherwertige Gesichtspunkte“. Die Erstürmung der Bank konnte gerechtfertigt werden, die Kalkulation der Polizei habe sich als richtig erwiesen: Der Rücksichtslosere der Gangster würde die Bank zuerst verlassen, der Weichere von ihnen bleiben. Und der, so sei zurecht erwartet worden, würde aufgeben.
Die durch die inhaltliche Abfolge und schnelle Montage aufgebaute Spannung wird gesteigert durch eine sparsame Produktion, reduziert auf die beiden sich abwechselnden Stimmen und ergänzt durch karge Gitarrenmusik. Der Autorin ist eine ausgeklügelte Collage gelungen, deren Komplexität kaum mit nur einem Hören zu erfassen ist.
Der Hörspieltitel kommt nicht wörtlich vor, ist aber durch den Verlauf des Stücks schlüssig herzuleiten: Das Geld nach der gescheiterten Geiselnahme sicherzustellen, zu „retten“, hatte höchste Priorität. Noch in der Nacht wird es zurückgebracht. Und so ließe sich treffend fortsetzen: Rettet das Geld – nicht die Menschen.
Eine lehrreiche Lektion über ein gescheitertes Verbrechen und einen Polizeieinsatz, der im Desaster endete. Bei näherer Beschäftigung mit dem Geschehen und dem zeitgeschichtlichen Kontext (Stichwort Terrorhysterie) bleiben Fragen: etwa die nach einem dritten Komplizen, von dem auch im Hörspiel die Rede ist, nach dem aber, obwohl im Prozess gegen den Täter von diesem erwähnt, vor Gericht nicht näher gefragt wurde (s. Spiegel 42/1972). Und schon zwei Tage nach dem Verbrechen in München „wurden in der Bundesrepublik fünf Banküberfälle verübt, darunter einer mit Geiselnahme“ (Spiegel). Inspiriert vom Überfall in der Prinzregentenstraße erscheint dies wegen der kurzen dazwischenliegenden Zeit kaum denkbar.
Gut ein Jahr später wunderte sich „Spiegel“-Reporter Gerhard Mauz als Berichterstatter des Prozesses gegen den überlebenden Täter von München, wie schnell dieser Fall offenbar vom Tisch sollte. Um weitere Fragen nicht mehr aufkommen zu lassen?
„Rettet das Geld“ ist im Bayern 2 Hörspiel Pool unter dem Datum 18.4.2016 zu finden (Stand: 10.5.2016).