Deutschlandfunk, 17. November 2015

„Das ist alles rein fiktiv“

Krieg simulieren in Franken

Eine fiktive Konfliktlage an den Grenzen zwischen Europa und Asien: Das Land Ariana ist nach einem Streit um Ölvorkommen in den Süden des benachbarten Atropia eingedrungen. Als Folge appelliert Atropias Präsident an die internationale Gemeinschaft zu intervenieren.
Kommt das bekannt vor? Die Feature-Autorin nimmt als Teil der „Zivilbevölkerung“ an einem Kriegstraining der U.S. Army und weiterer verbündeter Nationen auf dem Truppenübungsgelände im fränkischen Hohenfels teil. Ein umfangreiches Papier der Armeeführung, von dem noch die Rede sein wird, bringt den Anlass auf den Punkt: „Kriegsführendes Land dringt in Nachbarland ein, um Gas- und Ölvorkommen zu erobern“ (alle Zitate: Manuskript).

Civilians on the Battlefield

Das künstlich angelegte „Ubungsdorf“ wird Pasron City genannt. Zu den zivilen Rollen, die in den folgenden drei Wochen an diesem Ort gespielt werden, gehört die des Bürgermeisters. Dessen Darsteller arbeitet „für 85 Euro am Tag als sogenannter Civilian on the Battlefield [COB]. Eine Jobanzeige hat uns beide nach Atropia gebracht.“ Nur 12 ausgewählten von den fast 150 COBs darf Johanna Bentz Fragen stellen. „Alle achten sehr auf die Einhaltung dieser Regel. Man habe schlechte Erfahrungen mit den Medien …“. Weil Frau Bentz als Reporterin am Rollenspiel teilnimmt, steht ihr bei Fahrten über das Gelände und bei Gesprächen Christian Marquart, ein Mitarbeiter der Presseabteilung der US Army zur Seite. Unter den „Zivilen“ hört man mindestens 25 Sprachen. Einer ist ein deutsch-ghanaischer Journalist, der in Angola selbst als Reporter in einem Krieg war. Die Rollen für die COBs bestehen aus fiktiven Biografien („learn it, live it, become it!“), typisch etwa die eines Landesregierungschefs („provincial Governor“), der Wahad genannt wird. Weil es eine Übung ist, wird nur mit Platzpatronen geschossen. Marlene, die zum ersten Mal an solch einer Simulation teilnimmt: „Als wir dann hier angekommen sind, war es total abgeschottet … das kam plötzlich alles so echt rüber! Und ich war auch total erstaunt über die Größe, wie groß es hier ist, wie weitläufig.“

An dem Training, das „Combined Resolve IV“ heißt, nehmen 4700 Soldaten aus 13 Nationen teil. „Wir üben all die verschiedenen Kriegstypen, die man sich vorstellen kann“, sagt „Bedrohungsdesigner“ Mayor Roberts, der an Planung und Durchführung beteiligt ist. Und: „It’s more than military“, Diplomaten, nichtstaatliche Organisationen oder die Weltbank sind auch schon beteiligt. Johanna Bentz: „Interoperability – die Vernetzung zwischen den Armeen und den zivilen Akteuren sei das A und O, höre ich ständig.“

Erlebnisse im Kriegsgebiet

Was die Feature-Autorin miterlebt, ist unter anderem eine Begegnung von Soldaten mit einem „Oppositionsführer“ namens Jansov, bei der zur Simulation gehört, dass die Militärs in der Stadt nicht willkommen sind, weil sie nach den Worten des Oppositionellen auch die repressive atropische Regierung unterstützen. Der Wunsch der Zivilbevölkerung sei außerdem Unabhängigkeit. Oder die am Training Beteiligten besprechen, wie in Pasron „Koalitionstruppen“ die Stadt von „Arianern“ befreien sollen. Die Koalition braucht 20 Minuten, um die Stadt fast einzunehmen. Das Szenario mit „Kommandeur“ und „Bürgermeister“ findet Johanna Bentz „aufregend und lächerlich zugleich“. Die Autorin weiter: „Früher trainierten Soldaten an Schießscheiben, nach dem 2. Weltkrieg an einer menschlichen Silhouette mit dem Gesicht des Feindes. Heute erschießt man den eigenen Kameraden, der den Feind spielt. So werden die Soldaten desensibilisiert und damit treffsicherer und effektiver.“
Teil der Simulation ist auch die „Southern Atropian peoples Army“ (SAPA), die gegen die korrupte Regierung von Atropia gerichtet ist und die einfallende Armee unterstützt.

Die Fiktion ist leicht durchschaubar

Die Vorlage für die Simulation liefert das Papier der Armeeführung, aus dem zu entnehmen ist, dass fiktive Länder wie Atropia und Ariana Anrainer eines sehr realen Gebiets sind: von Kaukasus und Kaspischem Meer mit deren geostrategischer Bedeutung. Wieviel Realität steckt in dieser Inszenierung, fragt Johanna Bentz Steve Odonell, der als langjähriger aktiver Soldat jetzt für die Civilians on the Battlefield zuständig ist. Schließlich seien an den Beschreibungen der Länder und ihrer Regierungen bzw. Eliten Iran, Aserbaidschan, Russland und andere nicht schwer zu identifizieren. „Hier findet keine futuristische Planung statt, irgendwo einzugreifen. Das ist alles rein fiktiv“, beharrt der Gesprächspartner. Wenn Frau Bentz auf der Karte die Kaukasus-Anrainer zu erkennen meine, sei das ihr überlassen. Odonell räumt dann aber ein, „es sei kein Geheimnis, dass Iran und Russland die größten Feinde der USA seien … Man stelle nur sicher, dass man auch vorbereitet sei, mehr ist ihm nicht zu entlocken.“

Am „Mediaday“ nimmt die Autorin nunmehr als Pressevertreterin teil. Benjamin Hodges, der höchste US-General in Europa, legt dar, dass die Allianz nach der „illegalen Besetzung der Krim durch Russland“ beschlossen habe, „interoperable“, fähig zur Zusammenarbeit zu sein. Frau Bentz fragt den General bei einem späteren Exklusivtermin, „inwiefern die Abschreckungsstrategie Richtung Russland das Training bestimmt“. Hodges weicht aus. Es würden Szenarien benutzt, „die genau das beschreiben, was wir trainieren müssen, ohne dabei einen speziellen Ort oder ein spezielles Land zu nennen.“ Jedoch gebe es beim Training „auch Dinge, die aus Sicherheitsgründen nicht in der Öffentlichkeit geschehen sollen.“
Johanna Bentz war damit wohl bereits zu kritisch. Erst nach acht Tagen darf sie zurück auf das Trainingsgelände, wo bereits seit fünf Tagen der eigentliche Kampf um Atropia stattfindet. In Pasron City ist der „Bürgermeister“ mit tausenden Flüchtlingen konfrontiert, die eindringlich nach humanitärer Hilfe rufen. „Ein zentrales Merkmal des Krieges“, wie Frau Bentz konstatiert.

Wirtschaftliche mit militärischen Interessen verknüpft

Das oben erwähnte Papier der Armeeführung listet 77 mögliche Ereignisse als Anlass zum Eingreifen auf, darunter Bürgerkrieg, „Terroristen greifen Ölplattform an“ oder „Land verstaatlicht ausländische Firmen“. Johanna Bentz folgert, dass für die Wahrung US-amerikanischer Interessen eigentlich jederzeit Truppen losgeschickt werden könnten. „Und mit den Soldaten kommen deren zivile Partner ins Land.“ Ob im Training oder in der Realität sei dann unter anderem die USAID (US Agency for International Development, Entwicklungshilfebehörde) von Anfang an zur Stelle, die „eng mit dem US-Verteidigungsministerium und dem State Departement verzahnt“ ist. Die USAID soll nach ihrem Selbstverständnis unter anderem „Amerikas Zugang zu neuen Märkten, Investitionen und Handel ausweiten“. Da wundert es nicht, dass Hilfslieferungen auch nach „Atropia“ gehen, und die Agentur laut Simulation gleich noch Methoden anregen will, in der Landwirtschaft produktiver zu werden. So bereitet die „humanitäre Hilfe“ globalen Konzernen wie Nestlé, Monsanto oder BASF den Weg.

Johanna Bentz ist nach Auskunft ihrer Website „Author and Director“.

Faking War

Wie die Nato mit zivilen Komparsen den Krieg trainiert

Von Johanna Bentz
Sprecher: Annika Schilling, Jean Paul Baeck, Walter Gontermann, Valentin Stroh und Josef Tratnik
Regie: Claudia Kattanek
Deutschlandfunk 2015

Deutschlandfunk, Reihe: Das Feature
17. November 2015, 19.15 Uhr, 45 min.