Die Wirtschaftsjournalistin Brigitte Baetz stellt in einem Deutschlandfunk-Dossier das Unisono der deutschen Massenmedien zur jahrelangen Krise in Griechenland dar – insbesondere die Berichterstattung in der Zeit zwischen den beiden Wahlen in diesem Jahr, als die Syriza-Partei und ihre Leitfiguren, Ministerpräsident Alexis Tsipras und der kaum ein halbes Jahr amtierende Finanzminister Yanis Varoufakis, als Bedrohung des Abendlandes gesehen wurden. Die Autorin lässt andere Stimmen zu Wort kommen, die den Mainstream kritisieren, darunter den deutsch-griechischen Journalisten Michalis Pantelouris, den Ökonomen Heiner Flassbeck, den Medienwissenschaftler Matthias Thiele, die Politologin Gesine Schwan und Handelsblatt-Autor Norbert Häring.
Heiner Flassbeck, seit langem ein Kritiker neoliberaler Austeritätspolitik, bekennt, dass er sich vor zwanzig Jahren nicht habe vorstellen können, „dass querbeet durch fast alle Medien […] die deutsche Politik verteidigt wird. Es gibt international einen Sturm an Entrüstung über die deutsche Politik, über diese Austeritätspolitik, die Heinrich-Brüning-Politik sozusagen, die Herr Schäuble veranstaltet. Und in Deutschland ist es alles ganz ruhig und: nein, da verteidigt man es immer und nein, es ist alles notwendig und gibt gar keine Alternative und das ist ungeheuerlich.“ Der Wirtschaftswissenschaftler verdeutlicht noch einmal, dass in Griechenland, das eine steigende Arbeitslosigkeit zu verzeichnen hat und in dem die Löhne um dreißig Prozent gesunken sind, wegen mangelnder Inlandsnachfrage kein Wirtschaftswachstum erwartet werden kann. In Talk-Runden, zu denen er eingeladen war, so Flassbeck im DLF-Dossier, sah er Moderatoren geistig abschalten, wenn er seine Kritik vorbrachte – als hätten sie davon noch nie gehört.
Apropos Talk-Runden: „In einem Land, in dem Talkshows längst zur wichtigsten Bühne der Politikerklärung geworden sind, herrscht in jenen Tagen ein wahrer Griechenland-Debatten-Overkill“, so die Autorin Brigitte Baetz. Dieses Sendeformat, das sich, wenn es um Griechenland ging, generell nicht mit Ruhm bekleckert hat, erlebte wohl seinen Tiefpunkt in der Sendung „Günther Jauch“, in der Yanis Varoufakis zu Gast war und regelrecht vorgeführt wurde. „Das haben deutsche Talkshows noch nicht gemacht“, meint dazu der Medienwissenschaftler Matthias Thiele, der Fernseh-Talkshows zur Griechenland-Krise unter die Lupe genommen hat. Passend dazu äußert Michalis Pantelouris, so etwas wie die falschen Zitate, die Varoufakis immer wieder unterstellt wurden, habe er noch nie erlebt. Der nur gut fünf Monate als griechischer Finanzminister amtierende Wirtschaftsprofessor habe bereits seit Beginn der Krise sowie am ersten Tag seiner Amtszeit gesagt, Griechenland sei bankrott – die Bild-Zeitung brachte es polemisch erst sechs Wochen später.
Fremdschämen
Norbert Häring vom Handelsblatt schämt sich für seine Branche: Die angeblich deutschen Interessen seien die der Deutschen Bank: „[…] letztlich zahlt ja jetzt der deutsche Steuerzahler für die Deutsche Bank und die BNP Paribas. Das ist nämlich die Geschichte – und nicht Deutschland versus Griechenland.“ Häring spricht auch von „embedded journalism“ und hält unter anderem dem Brüsseler Büro der ARD, geleitet von Rolf Dieter Krause, Einseitigkeit vor.
Dr. Rainer Hank, der das Wirtschaftsressort der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung leitet, gesteht Fehler ein – nicht die Griechen insgesamt gehen mit 56 in Rente, sondern nur die im öffentlichen Dienst beschäftigten –, beansprucht aber, sie richtiggestellt zu haben. Um dann aber, wie in der Sendung zu hören, einen schiefen Vergleich zu bringen: Der Anteil der Rentenzahlungen am Brutto-Inlandsprodukt liege im Vergleich Deutschland–Griechenland bei 12 Prozent zu 16 Prozent. Dabei müsse aber berücksichtigt werden, so Ulrike Herrmann, Wirtschaftskorrespondentin der „Tageszeitung“, „dass es in Griechenland ja sonst keine Sozialversicherung gibt, keine Sozialhilfe und keine Arbeitslosenhilfe, die länger als ein Jahr geht. Das heißt, die Rentenversicherung ist sozusagen der Teil der Sozialversicherung, der die ganze Gesellschaft stützt und stabilisiert.“
Außerdem: Urlaubsverliebte Griechen? Falsch. Laut OECD-Statistik über die geleisteten Arbeitsstunden pro Jahr wird in Griechenland fast 700 Stunden mehr gearbeitet als in Deutschland. „Hilfspakete“? Das falsche Wort, das suggeriere, die Deutschen müssten ständig für die Griechen in die Tasche greifen. Kredite muss es heißen, dazu, wie Brigitte Baetz betont, mit hohen Zinsen und Auflagen.
„Ein ganz schlechtes Zeichen für die intellektuelle Qualität – sowohl der Medien als auch der Wissenschaft“ sieht auch die Politologin Gesine Schwan. „Das alles ist so primitiv.“ Syriza und Varoufakis sei nie die Möglichkeit gegeben worden, ihre Politik wirklich zu erklären. Eine alternative Politik, dazu von einer linken Regierung, sollte im Ansatz verhindert werden – von den europäischen Regierungen und [quasi als deren Sprecher] der Mehrheit der Journalisten. „Es war auch der typische Fall, dass das ein schwaches Land ist, auf das man dreinhauen konnte“, so Gesine Schwan an anderer Stelle der Sendung. „Griechenland war ökonomisch unwichtig genug, um es sozusagen so in die Pfanne zu hauen. Das ist auch eine Form von Schäbigkeit, für die ich mich geniere.“
Nachgedanken: Wenn auch für medienkritisch geschulte Köpfe die dargestellten Inhalte wenig Neues bieten, so ist es doch bemerkenswert, dass die Kritik am Mainstream aus dem Mainstream selbst kommt – das erlebt man selten genug. Dabei ist zu bedenken, dass in einer Sendung des Deutschlandfunks natürlich Kritik am eigenen Sender ausgespart bleibt. Die Autorin Brigitte Baetz arbeitet auch sonst für den DLF, bei dem, nach meinen Hörerfahrungen, etwa die wochentägliche Sendung „Europa heute“ nicht nur zur Griechenland-Thematik in letzter Zeit manches Ärgernis bot. Dennoch ein hörens- und lesenswertes Dossier, das wichtige Aspekte rekapituliert und zeigt, dass in den Leitmedien auch andere Stimmen zu Wort kommen.